Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte, Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Entwurf zur Dekoration, Die Sternenhalle der Königin der Nacht, Detail / Bildnachweis: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte, Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Entwurf zur Dekoration, Die Sternenhalle der Königin der Nacht, Detail / Bildnachweis: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Tickets

Spektakuläre Funde bei Grabung in Berlin: Verschollen geglaubte Werke der „Entarteten Kunst“ geborgen

09.11.2010
Neues Museum

Bei Grabungen im historischen Zentrum Berlins haben Archäologen des Landes Berlin elf Skulpturen gefunden, die 1937 im Zuge der nationalsozialistischen Aktion "Entartete Kunst" in deutschen Museen beschlagnahmt worden sind. Es handelt sich um Bronzen von Edwin Scharff, Otto Baum, Marg Moll, Gustav Heinrich Wolff, Naum Slutzky und Karl Knappe sowie Teile von Keramikarbeiten von Otto Freundlich und Emy Roeder. Drei weitere geborgene Werke sind noch nicht identifiziert: Die Bronze einer Frau, eine nur in Teilen erhaltene, stark zerscherbte Keramikskulptur sowie ein Torso und ein Kopf, die vermutlich zu derselben Steingussfigur gehören. Die Bronzen sind im Wesentlichen unbeschädigt, haben aber durch die lange Lagerung und den Brand eine starke Patina.

Die Objekte sind ab dem 9. November 2010 in einer Ausstellung im Griechischen Hof des Neuen Museums, Museumsinsel Berlin, zu sehen.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, stellt dazu fest: "Wie man sieht, ist die Archäologie immer wieder für Überraschungen gut: Bei Grabungen, die die mittelalterliche Geschichte Berlins zum Gegenstand haben, finden sich nun höchst interessante und zugleich tief berührende Spuren der jüngsten Vergangenheit. Die gefundenen Objekte und ihre Geschichte so umfassend wie möglich zu erforschen, wird nun der nächste Schritt sein."

Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte und Landesarchäologe des Landes Berlin: "Dieser Fund ist einzigartig. Noch nie sind Kunstwerke mit diesem Hintergrund bei einer Ausgrabung gefunden worden. Der Skulpturenfund betont eindrucksvoll die Bedeutung, die die archäologischen Untersuchungen vor Baumaßnahmen im Berliner Zentrum besitzen."

Klaus Wowereit: "Die Funde der von den Nazis als entartet diffamierten Kunst verweisen auf das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte, der gegenüber Berlin eine besondere Verantwortung hat und wahrnimmt. So wie diese Kunstwerke sich uns jetzt präsentieren, ist ihnen aber auch die Geschichte der vergangenen 60 Jahre eingebrannt. Das vor allem macht sie einmalig."

Als Bodenfunde sind die Skulpturen Eigentum des Landes Berlin. Sie werden nun im Neuen Museum im Rahmen der Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte präsentiert. Das Museum ist aufgrund einer historisch gewachsenen Verbindung Depositalmuseum für die Berliner Landesarchäologie, bewahrt also alle Bodenfunde des Landes. Sein Direktor ist in Personalunion Landesarchäologe des Landes Berlin.

Im Rahmen der Aktion "Entartete Kunst" beschlagnahmte und entzog der NS-Staat eine große Menge von Kunstwerken überwiegend in öffentlichen Museen und Sammlungen, aber auch bei Privatpersonen. Als propagandistischer Höhepunkt wurde 1937 die Ausstellung "Entartete Kunst" in München eröffnet, die anschließend in Berlin und zahlreichen anderen Städten gezeigt wurde. Die insgesamt weit umfangreicheren Bestände aus den Beschlagnahmungsaktionen sollten möglichst devisenbringend verkauft werden. Dies gelang nur teilweise, ein großer Bestand blieb in Berlin erhalten. Über diesen verfügte eine Abteilung des Reichspropagandaministeriums. Ein Teil dieser Werke gelangte später in den Bestand verschiedener Kunsthändler und wurde so bewahrt. Die staatlichen Maßnahmen wurden nachträglich durch das "Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" vom 31. Mai 1938 legalisiert.

Viele staatliche Sammlungen weisen bis heute Lücken im Bereich der Kunst der Klassischen Moderne auf. So auch die Sammlung der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, für die jedoch einige der erhaltenen Werke durch Kauf oder Schenkung zurück erworben werden konnten.

Die Fundumstände

Die Kunstwerke wurden bei Grabungen in der Rathausstraße, der ehemaligen Königstraße 50, gegenüber dem Roten Rathaus gefunden. Im Vorfeld des Weiterbaus der U5 vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor finden seit Oktober 2009 archäologische Untersuchungen im Straßenbereich und auf der Grünfläche vor dem Roten Rathaus statt. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Erforschung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Siedlungsgeschichte. In der Regel beginnt die Ausgrabung auf dem Niveau der jüngsten Kellerböden. Um diese zu erreichen, müssen die Grundstücke zunächst "enttrümmert", also von darüber liegendem Material frei geräumt werden. Diese Arbeiten, die aufgrund der Schuttmengen nur mit dem Bagger möglich sind, werden von Archäologen und Mitarbeitern des Landesdenkmalamtes Berlin beobachtet und dokumentiert.

Im Januar 2010 wurde ein auffälliger metallener Gegenstand geborgen, der nach einer ersten Reinigung in der Werkstatt des Museums für Vor- und Frühgeschichte wenige Tage darauf als Kunstwerk identifiziert wurde. Einige Wochen später stand fest, dass es sich um ein Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes von Edwin Scharff handelte. Die Tragweite des Fundes war jedoch noch nicht erkennbar, da es sich zu diesem Zeitpunkt um einen Einzelfund mit einer Fülle denkbarer Hintergründe handelte.

Im August 2010 wurden in der Nordwestecke des Kellers weitere Bronze- und Terrakottaskulpturen entdeckt und ebenfalls ins Museum für Vor- und Frühgeschichte gebracht. Mit der Identifikation des roten Terrakottakopfes als Teil der Arbeit "Die Schwangere" von Emy Roeder wurde die Verbindung zu der Aktion "Entartete Kunst" deutlich. Aus der Nordwestecke stammen außerdem "Stehendes Mädchen" von Otto Baum, "Tänzerin" von Marg Moll, "Hagar" von Karl Knappe, die Fragmente des "Kopfes" von Otto Freundlich sowie ein großer Torso und ein möglicherweise zugehöriger Kopf einer in Steinguss ausgeführten Skulptur, die noch nicht identifiziert ist.

Im Rahmen einer Nachgrabung Ende Oktober 2010 wurden schließlich noch die weibliche Büste von Naum Slutzky, die stehende Gewandfigur von Gustav Heinrich Wolff, die unidentifizierte bronzene Gewandfigur einer Frau, die eine Traube hält, sowie Scherben einer ebenfalls noch nicht identifizierten Keramikskulptur gefunden.

Die Skulpturen wurden in einem räumlich eng begrenzten Areal geborgen, das allerdings durch eine Kellerwand geteilt war. In einem Kellerteil konnte nachgewiesen werden, dass die Skulpturen deutlich oberhalb der Einrichtungsgegenstände des Kellers lagen, in dem anderen Raum waren keine Spuren der ursprünglichen Einrichtung nachweisbar. Dies legt nahe, dass die Skulpturen nicht im Keller aufbewahrt wurden, sondern aus einer der darüber liegenden Etagen herabstürzten. Der Brand des Hauses ließ sämtliche Zwischendecken einstürzen Sollten sich in dem Haus darüber hinaus Gemälde oder andere brennbare Kunstwerke befunden haben, wären diese wohl vollständig verbrannt.

Der Weg der Kunstwerke in die Königstraße 50
Der Weg der identifizierten Kunstwerke lässt sich bis ins Jahr 1941/42 nachzeichnen. Nach ihrer Beschlagnahme in Museen (Nationalgalerie, Berlin, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, Staatsgalerie Stuttgart, Schlesisches Museum der Bildenden Künste, Breslau, Kunsthalle Karlsruhe, Staatsgemäldesammlungen München) wurde ein Teil von ihnen in der Ausstellung "Entartete Kunst" gezeigt. Die übrigen lagerten, gemeinsam mit anderen noch nicht verwerteten Beständen der Beschlagnahmeaktion, in einem Keller des Reichspropagandaministeriums.

Wie die Kunstwerke in die Königstraße gelangten, ist noch nicht abschließend geklärt. Unter den ehemaligen Bewohnern des Hauses war allerdings eine Person zu ermitteln, die auf den ersten Blick eine Verbindung zu den Skulpturen gehabt haben könnte: Erhard Oewerdieck (1893-1977), ein Treuhänder und Steuerberater, der 1941 Büroräume im vierten Stock des Hauses Königstraße 50 gemietet hatte. Gemeinsam mit seiner Frau Charlotte (1903-1981) half er während des Krieges jüdischen Mitbürgern, wofür das Ehepaar von der Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" geehrt wurde. Oewerdiecks Tresor mit Geschäftspapieren, der zusammen mit den Skulpturen geborgen werden konnte, enthielt allerdings keine Hinweise auf Kunst. Im Rahmen der weiteren Forschungen zu dem Fund werden umfassende Recherchen zu allen Spuren, die über dessen Geschichte Aufschluss geben könnten, nötig sein.

Der Berliner Skulpturenfund
01.10.2014 bis 12.10.2014

Der Berliner Skulpturenfund
09.11.2010 bis 18.03.2012


Nachrichtenübersicht