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„Die Stunde der Wahrheit“. Caspar David Friedrich in der Restaurierungswerkstatt

01.07.2014
Alte Nationalgalerie

Fernab vom touristischen Trubel der Museumsinsel, in Räumen der Alten Nationalgalerie, wird nach dem Original gesucht. Oder nach dem, was nach hunderten von Jahren in Gemälden noch davon übrig ist. Hier in den Restaurierungsateliers arbeiten Restauratorinnen und Restauratoren daran, Kunstwerke möglichst im ursprünglichen Zustand zu erhalten oder diesen wieder herzustellen. Gemeinsam mit Ihrer Kollegin Francesca Schneider ist die Restauratorin Kristina Mösl gerade mit einem ganz besonderen Fall beschäftigt: die beiden Gemälde "Mönch am Meer" und "Abtei im Eichwald" des berühmten Malers der Romantik, Caspar David Friedrich, werden derzeit umfassend restauriert. "Wir versuchen die Lesbarkeit der Objekte wieder herzustellen und die Farbwerte dem Originalzustand anzunähern", erklärt Kristina Mösl. "Den tatsächlichen Originalzustand können wir nicht reproduzieren, weil jedes Bild mit dem Moment der Fertigstellung irreversibel zu altern beginnt."

Die Alterung lässt sich nicht rückgängig machen, aber bei der Restaurierung können spätere "Zutaten" wieder entfernt werden, die die Anmutung des Gemäldes verfälschen. "Ein Gemälde besteht wie eine Schwarzwälder Kirschtorte aus Schichten. Unten ist Leinwand, darauf Grundierung, Malschicht und ein lackartiger Überzug, den wir Firnis nennen", beschreibt Mösl, "das sind verschiedene Schichten, die sich mehr oder weniger gut vertragen". Bei alten Gemälden wurden oft in späterer Zeit weitere Firnisse aufgebracht, die mit den Jahren vergilben und die farbliche Erscheinung der Werke völlig verändern können. "Ein schönes Beispiel dazu sehen Sie hier an der Wand", meint Mösl und deutet auf Ausschnitte von der "Abtei im Eichwald", die dort ausgedruckt im Posterformat hängen. Darauf ist ein verblüffender Farbunterschied zu erkennen: bis zu sieben vergilbte Firnisschichten ließen das Bild gelb erscheinen, während an den Stellen, wo der Firnis abgenommen wurde, Farben und Formen in klaren Kontrasten erstrahlen - weißer Schnee und schwarze Bäume. "Da ist man auf jeden Fall näher am Originalwert dran als mit sieben Gelbfiltern", meint die Restauratorin.

Beim großen Originalbild sind inzwischen alle Firnisschichten bis auf die ursprüngliche restlos entfernt. Es liegt in der Mitte des Raumes auf einem Tisch, während Francesca Schneider sich hoch konzentriert darüber beugt. Um sie herum auf dem Gemälde liegen kleine weiße Baumwollkissen, auf denen sie eine helle Lampe platziert hat. Sie taucht verschiedene Stellen des Bildes in helles Licht, während die Restauratorin behutsam mit Wattestäbchen daran tupft. Das Bild ist voller Beschädigungen, die nun, nach der Firnisabnahme, deutlich sichtbar sind: helle Flecken, wo Originalfarbe abgeblättert ist, feine Risse und ausgekreidete alte Retuschen und Übermalungen.

Beiden Gemälden wurde in ihrer über 200-jährigen Geschichte schon so einiges zugemutet: Sie wurden mit minderwertiger Farbe übermalt, grob gekittet und sogar einmal gebügelt, um sie bei einer so genannten Doublierung auf neue Träger aufzubringen. "Die damaligen Restauratoren haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt", sagt Kristina Mösl. Doch wie viel ist bei den zahlreichen Bearbeitungen überhaupt noch vom ursprünglichen Gemälde übrig? "Was wir jetzt sehen, ist die Stunde der Wahrheit", sagt Mösl und deutet auf das Gemälde. "Wir schätzen den Verlust auf etwa vier Prozent der Originalsubstanz."

Dass Kristina Mösl und ihre Kollegen so viel über den Zustand der beiden Bilder wissen, verdanken sie dem heutigen Standard der restauratorischen Arbeit. Er folgt einem Dreiklang wie in der Medizin: Analyse, Diagnose, Therapie. Man prüft zunächst die Originalsubstanz auf Schäden und spätere Veränderungen. Auf Basis dieser Untersuchung wird die weitere Behandlung konzipiert.

Bei der "Abtei im Eichwald" wurde zunächst eine konservatorische Malschichtfestigung vorgenommen, um anschließend im Rahmen der Restaurierung die Oberfläche zu reinigen und die Firnisse abzunehmen. Bei der vorherigen Analyse fand man auch heraus, dass das Bild früher einmal blau war. "Im Querschnitt waren entfärbte Smalte-Pigmente vorhanden, ein blaues gemahlenes Glas", erzählt Kristina Mösl. "Die Pigmente waren von minderer Qualität, weswegen sie ihre Farbe verloren haben - Caspar David Friedrich war wie so viele Künstler zu Lebzeiten arm." Mit der ursprünglichen Blaupigmentierung dürfte das Bild auch viel besser zu seinem Pendant, dem "Mönch am Meer" gepasst haben. Dieses wartet derweil im Magazin darauf, ebenfalls von den Restauratorinnen unter die Lupe genommen zu werden. Was sie dabei noch alles finden, kann niemand voraussagen. Nur so viel ist gewiss: Es bleibt spannend.