28.10.2020
Udo Kittelmann leitet als Direktor seit zwölf Jahren die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin. Auf eigenen Wunsch wird er seinen bis zum 31. Oktober 2020 währenden Vertrag nicht verlängern. Die kommissarische Leitung der Nationalgalerie wird nach seinem Ausscheiden sein bisheriger Stellvertreter Joachim Jäger übernehmen. Die Nationalgalerie umfasst sechs Häuser: die Alte Nationalgalerie, die Neue Nationalgalerie, den Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, das Museum Berggruen, die Sammlung Scharf-Gerstenberg sowie die seit dem 27. Oktober 2020 wieder zugängliche Friedrichswerdersche Kirche.
„Udo Kittelmann hat die Nationalgalerie für alle geöffnet“, so Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin. „Er hat aus den Museen der Nationalgalerie offene Häuser gemacht, die alle gesellschaftlichen Gruppen eingeladen, viele gesellschaftliche Diskurse aufgegriffen und mit den Mitteln der Kunst kommentiert haben. Als begnadeter Ausstellungsmacher hat er mit seinem Team große Ausstellungsprojekte wie auch fokussierte, feinsinnige Präsentationen entwickelt, die die Kunststadt Berlin ebenso maßgeblich geprägt haben wie die internationale Kunstwelt. Dabei hat Udo Kittelmann stets die Sammlung der Nationalgalerie mit ihren herausragenden Werken, ihrer dunklen Phasen und blinden Flecken, ihrer historischen Zerrissenheit und ihrer großen kulturellen Bedeutung ins Zentrum seiner Arbeit gestellt und visionäre, kritische Ausstellungsformate entwickelt, die auf Jahre das definieren werden, was öffentliche Kunstsammlungen weltweit können sollten und können müssen. Dafür bin ich, dafür sind die Staatlichen Museen zu Berlin Udo Kittelmann zu allergrößtem Dank verpflichtet.“
Udo Kittelmann, 1958 in Düsseldorf geboren, war von 1994 bis 2001 Direktor des Kölnischen Kunstvereins und von 2002 bis 2008 Direktor des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main. Sein Berliner Amt hat er am 1. November 2008 angetreten und war Peter-Klaus Schuster nachgefolgt. Bereits mit seiner ersten Ausstellung „Die Kunst ist super!“ befragte Kittelmann 2009/2010 mit großer Leidenschaft die Sammlung der Nationalgalerie vor dem Hintergrund vermeintlich stabiler Wertesysteme und etablierte seine Vision von Kunst als Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen.
Es folgten weitere, mit dem Team der Nationalgalerie gemeinschaftlich organisierte Sammlungspräsentationen wie „Moderne Zeiten. Die Sammlung. 1900-1945“ (2010/2011) und „Der geteilte Himmel. Die Sammlung. 1945–1968“ (2011/2013) in der Neuen Nationalgalerie, „Die Schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung. 1933 – 1945“ (2015/ 2016) sowie „Hello World. Revision einer Sammlung“, die 2018 im Hamburger Bahnhof die Frage stellte, wie die Sammlung der Nationalgalerie aussehen würde, wenn sie nicht mit eurozentristischem Blick erworben worden wäre. Auch die überaus erfolgreiche Schau „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ sorgte 2019 für eine öffentliche Debatte, während im gleichen Jahr die Alte Nationalgalerie mit „Kampf um Sichtbarkeit“ erstmals ausschließlich die Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919 in den Fokus rückte.
Unterstützt wurde Udo Kittelmann dabei von einem Netzwerk herausragender Kuratorinnen und Kuratoren, die er für seine Projekte gewinnen konnte und die gemeinsam mit ihm dafür sorgten, dass die Berliner Nationalgalerie heute neben den bedeutendsten Kunstmuseen der Welt in einem Atemzug genannt wird. Kittelmann bediente mit seinem Programm nie den Mainstream, sondern setzte neben groß angelegten Einzel- oder Übersichtsausstellungen auf eigenwillige, starke Positionen – und nicht selten auf Entdeckungen. Dass Kittelmann mit dieser Programmatik dennoch ein großes und vor allem junges, internationales Publikum für die Häuser der Nationalgalerie gewinnen konnte, zählt zu seinen großen Leistungen. Aktuell hat die Ausstellung von Katharina Grosse im Hamburger Bahnhof trotz coronabedingt reduzierter Kapazitäten bereits über 100.000 Besucher*innen mobilisiert.
Neben Einzelausstellungen etablierter Namen wie Thomas Demand (2009/2010), Rudolf Stingel (2010), Carsten Höller (2010/2011), Tomás Saraceno (2011/2012), Gerhard Richter (2012), Martin Kippenberger (2013) oder Otto Piene (2014) zeigte er – oftmals parallel – weniger bekannte historische wie zeitgenössische Positionen, die erst durch das Engagement Kittelmanns national und auch international ihre verdiente Beachtung erfuhren – hier seien nur Taryn Simon (2011/2012), Hilma af Klint (2013), Gottfried Lindauers Māori-Portraits (2014/2015), Anne Imhof (2016), Adrian Piper (2017) oder zuletzt Jack Whitten (2019) genannt.
Das umfangreiche Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm war überwiegend durch erfolgreiche Drittmittel-Beschaffungen zu leisten, für die sich Udo Kittelmann und seiner Mitarbeiter*innen stets mit voller Leidenschaft eingesetzt haben. An vielen Projekten waren Stiftungen, Unternehmen, Förder*innen oder die Freunde der Nationalgalerie beteiligt. 2013 wurde Udo Kittelmann als „Europäischer Kulturmanager des Jahres“ geehrt.
In Kittelmanns Direktorat sind über 700 herausragende Werke aus allen Epochen seit dem 19. Jahrhundert bis zur Gegenwartskunst in die Sammlungen der Nationalgalerie aufgenommen worden, häufig durch großzügige Schenkungen – exemplarisch seien hier für viele andere Werke Leo von Klenzes „Concordia-Tempel“ (1857), Lotte Lasersteins „Abend über Potsdam“ (1930), Max Beckmanns „Selbstbildnis in Bar“ (1942), Robert Indianas „Imperial Love“ (1966/2006), Elaine Sturtevants „Warhol Flowers“ (1990), Harun Farockis „Ernste Spiele“ (2009-2010), Pierre Huyghes „Zoodram 6“ (2013) oder Adrian Pipers „The Probable Trust Registry“ (2013-2015) genannt. Aber auch die Sammlungen von Erich Marx, Ulla und Heiner Pietzsch, Egidio Marzona und Friedrich Christian Flick haben durch den Einsatz von Udo Kittelmann in den letzten Jahren viel Beachtung erfahren.
In Udo Kittelmanns Amtszeit fielen zahlreiche strategisch wichtige Entscheidungen in der Geschichte der Nationalgalerie: Die Sanierung der Neuen Nationalgalerie ab Frühjahr 2015, deren Wiedereröffnung für den Sommer 2021 geplant ist, ebenso wie die Planungen zum Neubau der Nationalgalerie am Kulturforum.
Zum Ende seiner Amtszeit hat Udo Kittelmann am 27. Oktober 2020 Karl Friedrich Schinkels Friedrichswerdersche Kirche wiedereröffnet, die nach achtjähriger sanierungsbedingter Schließzeit wieder als Dependance der Nationalgalerie genutzt wird. Bereits seit 25. Oktober 2020 ist im Hamburger Bahnhof die großformatige Installation „Self Portrait as clone of Jeanne D’Arc“ der US-amerikanischen Künstlerin Bunny Rogers zu sehen, die private Förder*innen als großen Dank an Udo Kittelmann der Nationalgalerie als Geschenk überlassen haben.
Die kommissarische Leitung der Nationalgalerie wird nach dem Ausscheiden von Udo Kittelmann sein bisheriger Stellvertreter und Leiter der Neuen Nationalgalerie Joachim Jäger übernehmen. Die Alte Nationalgalerie wird seit 2017 von Ralph Gleis geleitet, der Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin seit 2016 von Gabriele Knapstein.
Ausstellungen
Kampf um Sichtbarkeit
11.10.2019 bis 08.03.2020
Emil Nolde - Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus
12.04.2019 bis 15.09.2019
Jack Whitten: Jack’s Jacks
29.03.2019 bis 01.09.2019
Adrian Piper. The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1-3
24.02.2017 bis 03.09.2017
Gottfried Lindauer. Die Māori Portraits
20.11.2014 bis 12.04.2015
Otto Piene. More Sky
17.07.2014 bis 31.08.2014
Gerhard Richter
12.02.2012 bis 13.05.2012
Tomás Saraceno
15.09.2011 bis 19.02.2012
Carsten Höller
05.11.2010 bis 06.02.2011
Rudolf Stingel
10.02.2010 bis 22.08.2010
Hilma af Klint
15.06.2013 bis 06.10.2013
Taryn Simon
22.09.2011 bis 01.01.2012
Die Kunst ist super!
05.09.2009 bis 14.02.2010
Moderne Zeiten
12.03.2010 bis 03.10.2011
Hello World. Revision einer Sammlung
28.04.2018 bis 26.08.2018
Thomas Demand
18.09.2009 bis 17.01.2010
Der geteilte Himmel
11.11.2011 bis 08.09.2013
Neue Galerie: Die Schwarzen Jahre
21.11.2015 bis 21.08.2016