02.10.2023
Kulturforum
Ariane Spanier bespielt ab sofort den Bauzaun für das künftige Museum des 20. Jahrhunderts („berlin modern“) am Kulturforum. Entlang der Baustelle des von Herzog & de Meuron entworfenen Erweiterungsbaus der Neuen Nationalgalerie ist die Arbeit „BORDERS“ als Kunstprojekt im öffentlichen Raum zu sehen.
Der Bauzaun wird in den kommenden Jahren wechselnde künstlerisch-grafische Gestaltungen zeigen, die sich mit Themen des Ortes und der Kunstsammlungen des 20. Jahrhunderts auseinandersetzen. In einem von Neuer Nationalgalerie und Kunstbibliothek organisierten eingeschränkten Wettbewerb wurden durch eine Jury der Museen am Kulturforum drei Entwürfe gewählt, die ab Herbst 2023 nacheinander realisiert werden.
Den Auftakt macht die Berliner Grafikdesignerin Ariane Spanier mit „BORDERS“. Rund 60 Denksprüche ziehen die Grenzlinie der Baustelle in einem Band aus Buchstaben nach. Spanier sammelte Redewendungen und Zitate aus Presse, Musik oder Literatur bis hin zu Motivationsslogans, die auf Social Media geteilt werden. Sie veränderte die Texte durch den Begriff „Grenze“/“Border“ so, dass sich neue Aussagen ergaben – mal engagiert, mal kritisch-ironisch, mal lyrisch. Die Sinnsprüche beziehen sich auf unterschiedlichste Arten von Grenzen: territorial, politisch, individuell. So entstehen Mehrdeutigkeiten, die nachdenklich machen, aber auch irritieren können.
Die Frage weist auch in die Geschichte des Ortes zurück, befindet sich die Baustelle doch im ehemaligen Grenzgebiet. Am nahen Potsdamer Platz verlief noch vor rund 35 Jahren die Mauer, die Berlin in eine Ost- und eine Westhälfte teilte. Die Sammlung der Nationalgalerie, die in dem Neubau hinter dem Bauzaun ausgestellt sein wird, umfasst eine große Anzahl und Vielfalt an nationalen und internationalen Kunstwerken aus der Zeit der deutschen Teilung. Dies gilt auch für die Sammlungen der Kunstbibliothek und des Kupferstichkabinetts, die hier ihre Arbeiten auf Papier, Werke der Buch- und Plakatkunst, Archivalien und Modelle aus dem 20. Jahrhundert präsentieren werden.
Gehören Grenzen und Irritation nicht unweigerlich zusammen? Grenzen zieht, wer etwas schützen will: eigene Ideen, sich selbst, andere Menschen, Besitz, Territorien. Grenzen sucht, wer sie überschreiten will: aus Ehrgeiz, Neugier oder dem Wunsch nach Bewusstseinserweiterung, aber auch aus Verzweiflung, Überlebenswillen oder Aggression. Wann ist die Grenze gut, wann ist sie schlecht? Die Antworten sind selten eindeutig, sie hängen vom Blickwinkel ab. In der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts geht es immer wieder darum, Grenzen zu hinterfragen und zu durchbrechen, individuelle Grenzerfahrungen sichtbar zu machen und Diskurse anzustoßen. BORDERS ist daher gerade hier und jetzt relevant: Als ambivalente Phänomene, historisch und kulturell aufgeladen, genuin politisch und allgegenwärtig, definieren Grenzen unsere Welt, sie fordern heraus und verhindern, sie markieren – gewollt oder ungewollt – Anfang, Übergang und Ende.
Je mehr Zitate ich sammelte und umschrieb, desto breiter wurde die Definition des Begriffs: geografische Grenzen, soziale Grenzen, physische Grenzen, innere Grenzen, deine Grenze, meine Grenze… Ich merkte: Je falscher die Zitate klingen, desto mehr bringen sie einen zum Nachdenken. Einige sind Mahnungen, dass nicht jede*r in der privilegierten Position ist, groß über Selbstoptimierung nachzudenken. Andere werfen fast existentielle Kontroversen auf und treten hitzige Debatten los. Manche sind aber auch sehr poetisch oder philosophisch, als ob das Wort Grenze sie bedeutungsvoller macht.
Ariane Spanier, Grafikdesignerin
Mit Hans Haackes Werk „Wir (alle) sind das Volk“ – ein in 12 Sprachen übersetztes Statement, von Regenbogenfarben flankiert – hatte die Nationalgalerie bereits 2021 bis 2023 ein Zeichen für eine offene, kulturell vielfältige und tolerante Gesellschaft gesetzt.
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