03.03.2020
Nach einer Reihe von Ausstellungen moderner und zeitgenössischer Arbeiten wendet sich die Tchoban Foundation als Museum für Architekturzeichnung vom 7. März bis 7. Juni 2020 wieder dem Thema der historischen Zeichnung zu und präsentiert ein Kooperationsprojekt mit der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin. Die Schau ist Architekturdarstellungen der Stadt Sankt Petersburg gewidmet, die zum großen Teil von der Hand des Zeichners und Architekten Jean-François Thomas de Thomon (1760–1813) stammen.
Thomas de Thomon gehört zu den bekanntesten französischen Architekten des Neoklassizismus. Mit seinem herausragenden zeichnerischen Talent und großem Ehrgeiz verließ er seine von der Französischen Revolution erschütterte Heimat und begann eine Karriere in Russland und dessen damaliger Hauptstadt Sankt Petersburg, in der er seine prominentesten Bauten schuf. Er verstand es, seinen Namen und seine Biografie so anzupassen und sich auf dem Gesellschaftsparkett so geschickt zu bewegen, dass er Zugang zu den hohen Adelskreisen Russlands bis zum Zarenhof und somit zu bedeutenden und gut dotierten Aufträgen fand – zu seinen berühmtesten Projekten zählen das Große Theater (Bolschoi-Theater) und die Gestaltung der Ostspitze der Wassiljewski-Insel mit der Börse.
Seit seiner Gründung im Jahr 1703 wurde Sankt Petersburg intensiv bebaut und sollte als das „Fenster nach Europa“ in seiner architektonischen Gestaltung ebenfalls „europäisch“ erscheinen. Daher waren schon früh zahlreiche internationale Architekten wie zum Beispiel Domenico Trezzini, Andreas Schlüter, Charles Cameron, Bartolomeo Francesco Rastrelli, Giacomo Quarenghi und viele andere in der Stadt an der Newa tätig. Während Thomas de Thomon in Sankt Petersburg wirkte, kam in Europa der imperiale neoklassizistische Stil in Mode, der in der Kunstgeschichte oft als Empire und in Russland als alexandrinischer Klassizismus bezeichnet wird. Da Jean-François Thomas de Thomon an der Académie royale d’architecture in Paris studiert und einige Jahre in Italien mit dem Studium der klassischen antiken Vorbilder verbracht hatte, konnte er die erforderliche Qualifikation als Baumeister vorweisen. Er erhielt einen Lehrauftrag an der Akademie der Künste in Sankt Petersburg und machte sich bald nicht nur einen Namen als Architekt, sondern auch als brillanter Zeichner.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich bei der Auswahl der Zeichnungen Thomas de Thomons aus der Sammlung der Kunstbibliothek um ein Präsentationsalbum handelt, das der Architekt im Auftrag eines Adligen, möglicherweise aus der Zarenfamilie, angefertigt hatte. In diesem „Album“ sind Repräsentationsbauten aus öffentlicher Hand zusammengestellt, darunter einige Militärgebäude wie Kasernen, Reithallen und Offiziershäuser sowie Krankenhäuser und die Kasaner Kathedrale als Sakralbau. Damit ist in der Ausstellung eine hervorragende Auswahl an Zeichnungen bedeutender Bauwerke der Stadt zu sehen, die nicht nur von Thomas de Thomon, sondern auch von Kollegen aus seinem Umkreis, wie zum Beispiel Giacomo Quarenghi (1744–1817), Andrei Woronichin (1759–1814) und Luigi Rusca (1758–1822), entworfen und von Thomas de Thomon kopiert, verkleinert und angeordnet wurden. Da einige der Originalpläne und ursprünglichen Zeichnungen der Entwurfsverfasser heute nicht mehr erhalten sind, stellt dieses Album neben seiner künstlerischen Qualität auch eine wichtige architekturhistorische Quelle dar.
In der Ausstellung werden neben den Zeichnungen Thomas de Thomons auch Werke seines wichtigen Zeitgenossen, Giacomo Quarenghi, sowie eine Arbeit von Philipp Elsson (1793–1867) gezeigt, die an den Entwurf der Börse von Thomas de Thomon erinnert.
Die Ausstellung basiert auf den Leihgaben der Kunstbibliothek. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Tchoban Foundation. Museum für Architekturzeichnung
Christinenstraße 18a
10119 Berlin
Öffnungszeiten
Montag bis Freitag 14 bis 19 Uhr
Samstag und Sonntag 13 bis 17 Uhr
Die 2009 von Sergei Tchoban, einem leidenschaftlichen Zeichner und Sammler von Architekturzeichnungen, gegründete Tchoban Foundation dient mit ihrer umfangreichen Sammlung als Grundlage für die Forschung zur Geschichte und zum Wesen der Architekturzeichnung. Darüber hinaus bietet eine Präsenzbibliothek mit dem Schwerpunkt Architekturzeichnung Experten und interessierten Besuchern die Möglichkeit zur Recherche. Erklärtes Ziel der Stiftung ist vor allem, die fantastischen und emotionsgeladenen Welten der Architekturzeichnung im digitalen Zeitalter einer breiten Öffentlichkeit in Ausstellungen näherzubringen.