Die Nationalgalerie besitzt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die von der Neuen Nationalgalerie verwalteten Bestände ab 1946 sind mit der Veröffentlichung im Online-Katalog der Staatlichen Museen zu Berlin nun digital abruf- und recherchierbar. Die wissenschaftlich erschlossenen und digitalisierten Bestände umfassen wesentliche künstlerische Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Untersucht und erfasst wurden Gemälde, Skulpturen und Objekte von Künstler*innen der Bundesrepublik und der ehemaligen DDR, Westeuropa und den USA sowie aus den damaligen sozialistischen Staaten. Neben Hauptwerken wie Barnett Newmans „Wer hat Angst vor Rot, Gelb und Blau IV“ (1969/70) oder Francis Bacons „Porträt der Isabel Rawsthorne in einer Straße in Soho stehend“ (1967) gehören dazu Werke des Informel, der US-amerikanischen Farbfeldmalerei, des Realismus der 1970er-Jahre, Kunst der DDR, der Pop- und Minimal Art ebenso wie der Konzeptkunst von Künstler*innen wie Willi Baumeister, Lee Bontecou, Rebecca Horn, Wolfgang Mattheuer, Henry Moore, Louise Nevelson, Bridget Riley, Mark Rothko oder Gerhard Richter.
Seit 2018 hat die Neue Nationalgalerie die wissenschaftliche Erschließung und Digitalisierung der von ihr betreuten Bestände maßgeblich vorangetrieben. Nachdem der Bestandskatalog zur Klassischen Moderne bereits 2021 veröffentlicht und online zugänglich gemacht wurde, wurden seit 2022 die Sammlungswerke nach 1945 bearbeitet. Nun sind insgesamt 95 Prozent der von der Neuen Nationalgalerie verwalteten Sammlung, zu der auch das Museum Berggruen gehört, online recherchierbar. Ein Teil der Bestände zur Kunst des 20. Jahrhunderts wird derzeit vom Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart verwaltet und ist bisher nicht im Online-Katalog veröffentlicht. Mit der Eröffnung von „berlin modern“ werden die Bestände des 20. Jahrhunderts der Nationalgalerie am Kulturforum zusammengeführt.
Im Vordergrund des dreijährigen Forschungsprojekts zur wissenschaftlichen Erschließung und Online-Stellung des in der Neuen Nationalgalerie verwahrten Bestands nach 1945 stand die Überprüfung und Aktualisierung der Kerndaten ebenso wie der Provenienzen, Literatur und Ausstellungshistorie. Darüber hinaus wurde der Großteil der Werke mit einem begleitenden Text in einen kunsthistorischen Zusammenhang gestellt. Veröffentlicht wurden Werke aus dem Bestand; dazu gehören Ankäufe, Schenkungen oder Überweisungen, ebenso wie Objekte, die als unbefristete Dauerleihgaben aus öffentlicher Hand in die Sammlung gegeben wurden. Nicht aufgenommen wurden Werke, die sich als Leihgaben aus Privatbesitz in der Sammlung befinden.
Auch die Provenienz, die Herkunftsgeschichte eines jeden Objekts, wurde bei der Bearbeitung in den Blick genommen. Sie gibt Auskunft über die unterschiedlichen Zugangswege, auf denen die Werke während der vierzig Jahre der politischen Teilung Deutschlands ebenfalls geteilte Sammlung der Nationalgalerie Eingang fanden. So hatte sich mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der Gründung der Bundesrepublik und der DDR sowie der Teilung der Stadt Berlins 1949, eine doppelte Sammlungsstruktur herausgebildet. Seitdem wurde in beiden Teilen der Stadt getrennt voneinander gesammelt, unter jeweils anderen politischen Voraussetzungen, Vorgaben und Strategien.
In der Datenbank lassen sich die unterschiedlichen Sammlungsprofile der in Ost und West existierenden Nationalgalerien nachvollziehen. In der Nationalgalerie in Ostberlin fanden vor allem Künstler*innen aus der DDR Berücksichtigung, wie beispielsweise ab Mitte der 1950er-Jahre, die Bildhauer Fritz Cremer, Waldemar Grzimek oder Gustav Seitz. Später wurde mehr Gegenwartskunst angekauft, vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren, als unter der politischen Losung „Weite und Vielfalt“ ein größeres Spektrum an künstlerischen Themen und stilistischen Ausdrucksweisen berücksichtigt werden konnte. Die Kunst der 1960er-Jahre repräsentieren Arbeiten von Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer oder Werner Tübke; für die späteren Jahre stehen stellvertretend Ankäufe von Manfred Böttcher alias Strawalde, Arno Rink oder Walter Libuda. Anhand der Provenienzhinweise wird ersichtlich, dass viele Werke direkt von den Künstler*innen oder aus deren Nachlässen erworben wurden, oftmals mit finanziellen Mitteln des Kulturfonds der DDR. Auch staatliche Überweisungen von Kunstwerken an die Nationalgalerie gab es immer wieder.
Dagegen wurde in der 1968 in Westberlin eröffneten Neuen Nationalgalerie an einem internationalen Profil der Sammlung gearbeitet. Neben Arbeiten von Ernst Wilhelm Nay oder Marino Marini, kamen Werke des Informel sowie Arbeiten von Francis Bacon, R. B. Kitaj, Zoltán Keméney oder Tom Wesselmann sowie später Werke der US-amerikanische Farbfeldmalerei, der Düsseldorfer Gruppe ZERO oder westdeutschen Künstler wie Gotthard Graubner, Sigmar Polke oder Gerhard Richter in die Sammlung. Darüber hinaus gingen die seit den ersten Nachkriegsjahren vom Berliner Magistrat erworbenen Werke für die Galerie des 20. Jahrhunderts mit der Eröffnung des Mies van der Rohe-Baus als Dauerleihgabe des Landes Berlin in den Bestand der Nationalgalerie über. Und auch in den darauffolgenden Jahren hat sich das Land Berlin immer wieder an Ankäufen für die Nationalgalerie beteiligt. Gleichermaßen wirkten staatliche und private Stiftungen, große Schenkungen oder die Freunde der Nationalgalerie daran mit, dass Werke in die Sammlung gelangten.
Nicht alle Objekte, die sich in der Sammlung der Nationalgalerie befinden, sind dem breiten Publikum bekannt. Vielmehr finden sich unter den veröffentlichten Werken eine Reihe von Arbeiten, die zum Teil über Jahrzehnte nicht in den Ausstellungsräumen zu sehen waren. Mit der digitalen Veröffentlichung der in der Neuen Nationalgalerie verwahrten Bestände wird die Sammlungsgeschichte der Nationalgalerie als Ganzes sichtbar gemacht. Die in der Online-Datenbank der Staatlichen Museen zu Berlin veröffentlichten Werke können sowohl sammlungsübergreifend als auch sammlungsimmanent über Filter und erweiterte Funktionen, wie Suche nach bestimmten Künstler*innen oder in speziellen Zeiträumen, recherchiert werden. Der Großteil der Objekte erscheint mit Abbildungen.
Bereits seit November 2023 steht eine Auswahl an Werken, die als Teil der Sammlungspräsentation „Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft“ in der Neuen Nationalgalerie gezeigt werden, online zu Verfügung. Die vertiefenden Informationen können mittels eines QR-Codes in den Ausstellungsräumen abgerufen werden.
Die Arbeit an und mit der Sammlung gehört zu den Kernaufgaben der Museumsarbeit. Mit der Online-Stellung dieses weiteren, fast 1.500 Arbeiten umfassenden Werkkomplexes, sind die Geschichte, Vielfalt und Breite der Sammlung der Nationalgalerie endlich noch besser digital recherchier- und einsehbar. Die Bearbeitung noch fehlender Konvolute soll in den nächsten Jahren weiterverfolgt werden. Solche grundlegenden Arbeiten am Bestand sind in heutigen Zeiten oftmals nur mit der Unterstützung von zusätzlichen Projektmitarbeitenden und externen Projektmitteln zu realisieren, die der Neuen Nationalgalerie in großzügiger Form von der Ernst von Siemens Kunststiftung zur Verfügung gestellt wurden.
Das Projekt wurde großzügig gefördert von der Ernst von Siemens Kunststiftung.
Projektleitung und Herausgeberinnen: Emily Joyce Evans, Maike Steinkamp
Sammlungsleitung: Joachim Jäger
Datenredaktion: Sarah Hampel, Johanna Lange, Holger Niederhausen, Eleanora van Rooijen, Evelyn Sutter, Elena Voronovich
Textredaktion/Lektorat: Barbara Delius
Provenienzforschung: Emily Joyce Evans, Sven Haase, Lisa Hackmann, Maike Steinkamp
Depotverwaltung: Paul Markus, Maria Luna Mignani, Torsten Neitzel
Restaurierung: Ella Dudew, Ina Hausmann, Hana Streicher
Mit besonderem Dank an Angelika Wesenberg; Michaela Hussein-Wiedemann (Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin); Helen Reich (Digitale Museumsdienste); Tobias Schmiegel (Justiziariat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz); Michaela Schulze-Bubert (Stiftung Preußischer Kulturbesitz)