Menschen haben die Fähigkeit Informationen außerhalb ihres Geistes zu speichern und weiterzugeben. Die Erlangung dieser Fähigkeit ist ein Meilenstein in der menschlichen Evolution. Sie spiegelt sich in der Verwendung von Symbolen und geschriebener Sprache wider und ist die Grundlage für künstliche Rechensysteme in der Moderne. Erste Spuren dieser Informations-„Externalisierung“ lassen sich bis ins Paläolithikum vor circa 400.000 bis 11.000 Jahren vor heute zurückverfolgen. Das Projekt „EVINE (Evolution of Visual Information Encoding)“ beschäftigt sich mit der Digitalisierung sogenannter mobiler Objekte aus dem Paläolithikum, auf denen geometrische Zeichen zu finden sind. Dies dient dem objektiven Vergleich ihrer Informationsdichte mit antiken und modernen Schriftsystemen. Letzten Endes soll dadurch die Entwicklung der Zeichensysteme von den frühesten Anfängen bis hin zum Informationszeitalter neu beleuchtet werden.
Vor der Erfindung der Schrift hinterließ Sprache keine eindeutigen archäologischen Spuren. Allerdings hat sich wohlmöglich eine wichtige Komponente der Schrift, nämlich Zeichenkombinatorik, auf sogenannten mobilen Artefakten im wahrsten Sinne des Wortes "eingeprägt".
Als anatomisch moderne Menschen in der Altsteinzeit ihre Reise aus Afrika in den Rest der Welt unternahmen, haben sie auf ihrem Weg vielerlei Artefakte hinterlassen. Einige davon tragen Spuren visueller Informationskodierung: geometrische Zeichen. Aktuelle Analysen vereinzelter Artefakte aus dem Paläolithikum ergeben, dass es sich sehr wahrscheinlich um frühe Formen von sogenannten "mnemonischen Techniken" handelt, also visualisierte Gedächtnisstützen. Eine systematische Häufung solcher Artefakte tritt in Europa zum ersten Mal mit Ankunft des modernen Menschen vor ungefähr 45.000 Jahren auf. In der archäologischen Literatur wird vereinzelt darauf hingewiesen, dass die entsprechenden Zeichensysteme im Laufe des Jungpaläolithikums (ca. 43.000 bis 11.000 vor heute) immer komplexer wurden. Wie allerdings diese Veränderungen der Komplexität zu bemessen und zu modellieren sind, bleibt eine offene Forschungsfrage.
Das EVINE Projekt zur Evolution Visueller Informationskodierung hat zum Ziel, die relevanten archäologischen Funde in einer Datenbank zu erfassen. Darauf aufbauend sollen die Übergänge in der Informationskodierung mit Methoden aus der Computationalen Linguistik beleuchtet werden. Dazu werden Maße aus der Informationstheorie und Quantitativen Linguistik sowie Klassifikationsalgorithmen herangezogen. Diese werden auf paläolithische Zeichen, frühe Keilschrift-Texte und moderne Schriften angewendet.
Diese Herangehensweise wird ein neues Licht werfen auf die Frage, wie sich die visuelle Informationskodierung von den frühesten Zeichen bis hin zur Schrift entwickelt hat.
Projektleitung: Dr. Christian Bentz, Lehrstuhl für Multilinguale Computerlinguistik, Universität Passau
Ansprechpartner: Dr. Ewa Dutkiewicz, Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin
Förderung: Europäischer Forschungsrat (ERC, EVINE, 101117111)
Dauer: 2024–2028
Projektwebsites: www.erc-evine.de, www.signbase.org