Es geht um Mehrfachdiskrimierung und darum dass systematische Unterdrückung zusammenhängend ist. Wie ist der Körper von Klasse, Geschlecht, Hautfarbe, Bildung, Sexualität, Alter, Sprache, Herkunft, Identität, Privileg etc. geprägt? Print, Installation, Fotografie und Performance sind hier Mittel der Dokumentation: Sie formulieren Narrative und Gesten der Repräsentation. Wer wird veröffentlicht oder veröffentlicht, wer wird gezeigt oder gesehen, wer hat die Bühne, wer steht zwischen den Zeilen?
Intersectional Matter findet eine weitere Anwendung im Imprinted Matter Leseraum: Zu sehen sind eine Vorschau vom Intersectional Matter Zine und Poster sowie Kaffeetassen, die mit Aufforderungen und Fragestellungen zu solidarischem Verhalten bedruckt sind.
Intersectional Matter ist ein Projekt von und mit Mathilde ter Heijne, Christoph Balzar, Karina Griffith, Kristina Leko, Sandra Noeth und Nik Haffner. Intersectional Matter war ein künstlerisch-wissenschaftliches Forschungsprojekt an der Universität der Künste Berlin (SoSe 19 – WS 19/20), das sich der Frage widmete, wie sich die intersektionale Theorie in das akademische Curriculum und in künstlerische Lernerfahrungen integrieren lässt. Gemeinsam widmeten wir uns den Fragen, was Intersektionalität ist, was intersektionelle Diskriminierung ausmacht und was es heißt, intersektionell zu denken und zu handeln. Zahlreiche Workshops, Vorträge und Dialoge in enger Zusammenarbeit der Klasse für Zeitbezogene Medien und Performance, des Instituts für Kunst im Kontext (IfKiK) und des Hochschulübergreifenden Zentrums Tanz (HZT) und mit einer großzügigen Förderung der Frauenbeauftragten und des DiVAversity-Fonds.
Der Leseraum schafft ein Forum. "Printed Matters" sind ein intersektionales Werkzeug für Austausch, Fragestellungen und Verteilung. Das Buch und der Raum verschmelzen in Akt und Situation. Die Künstlerin Barbara Kruger spricht für Printer Matter Inc. – der größten Kunstbuchhandlung mit Archiv in New York – davon: “Printed Matter matters”. Gerade in digitalisierten und unsicheren Zeiten gewinnen Drucksachen Bedeutung, weil sie zur friedlichen Reflexion aufrufen. Das Spektrum von "Printed Matter" enthält eine große Bandbreite an Inhalten.
Diese avantgardistischen Publikationen drücken die Stimmen, Identitäten, Heilungsprozesse und Kämpfe ihrer Herausgebenden aus. Sie sind entstanden in unabhängigen Kollektiven, freien Redaktionen sowie aus einem Publikations- und Lyrikworkshop mit Christoph Balzar und Lahya Aukongo an der Universität der Künste Berlin. Allen diesen Publikationen ist gemeinsam, dass sie Unsichtbares sichtbar machen, sich selbst bestimmen und bestehende Strukturen in Frage stellen.
Magazine verschaffen sich Gehör, wie zum Beispiel das N*A*I*L*S Kollektiv, das den Nagelsalon als queeren Ort für intersektionale Care Politiken sich vorstellt, und das damn* zine/ deutsche asiat*innen, make noise! Das Straßenjournal Arts of the Working Class (AWC) spricht mit seinem Namen und Beiträgen von Künstler*innen in verschiedenen Sprachen viele an. Die Ausgabe 9 WHO CARES befasst sich spezifisch mit dem Thema Care und beinhaltet einen Care-Fragebogen von Redakteurin Alina Kolar und einen Beitrag über einen UdK-Workshop von Intersektional Matter Mitwirkenden (Seite 52).
Darüber hinaus stehen hier queer-feministische Manifeste, Lyrik über Freiheit, autobiografische Comics und Fanzines über Gefühle, Verletzbarkeit, Traumabewältigung, autonome Gesundheit und alternative Medizin. Es gibt Pamphlete, gedruckt mit dem DIY Risograph-Drucker und ein dekolonisiertes Künstler*innen-Buch, das Pizzaros Kolonisierung von Peru visuell aufdeckt. Jane Hwang’s island of is and yous macht einen Zwischenzustand, der uns alle vereint, hörbar:
Die Installationen und Videoarbeiten bedienen sich der Publikationsprozesse, um mit Identitäten in Dialog zu treten, Interaktionen auszulösen und Raum zu verhandeln.
Wiedersehen (2019) eröffnet in zwei Texten und einem Orchideenkostüm Relikte einer Konfrontation. Die Orchidee wird hier zu einem Symbol für Exotifizierung und einem Ausdruck des Überlebenswillens. Mit 3000 Prints remixt Mania Godarzani-Bakhtiari popkulturelle Slogans von Popikonen und transformiert sie zu neuen Statements. 25¢ to Fall in Love setzt 36 Fragen von Beziehungswissenschaftler*innen ein, um intime Gespräche zwischen Fremden auszulösen. Vincent Hulme thematisiert mit seiner variabel formatierbaren Tapete aus gedruckten E-Mails zu einer WG-Suche die Wohnungskrise in Berlin, bei der Raum zur Ware wird und kultureller Hintergrund die Wohnungssuche beeinflusst.
Die zeitlose Macht von Leseräumen für politisches Handeln wird in der Videoarbeit Oppositionsblatt von Anastasia Putsykina durch die Umweltbibliothek erkennbar, einer aktivistischen Bibliothek, die mit einem radikalen Konzept zumTreffpunkt in der DDR wurde.
Die Performances sind Handlung, Gespräch und Manifest, die Gedrucktes als Werkzeug einsetzen.
Das feministische Riot Pant Project von Elena Buscaino, Mina Bonakdar, und Josef Roth richtet sich gegen Manspreading, in dem Botschaften in den Schritt von Hosen gedruckt werden. Sie sind erst lesbar, wenn Träger*innen die Beine spreizen und so Raum zurückverlangt wird. Die Hose selbst wird zum Performance-Objekt.
In Dialog der Dinge / Komische Fragmente lassen Jinran Ha & Johanna Michel die Objekte buchstäblich sprechen. Die Künstlerinnen trennen sich von ihrem menschlichen Körper, der immer von Zuschreibungen im Zusammenhang mit Geschlecht, Aussehen, Alter, Ethnie/Race etc. betroffen ist. Sie lassen stattdessen Gegenstände aus dem Nagelstudio unbefangen miteinander sprechen.
Charlotte Seebeck hat ein öko-feministisches Banner und Zinepostermanifest gesiebdruckt, ein Herbarium zum rezitieren. In der Performance die freude von Tania Elstermeyer spielen Tanz, Lyrik, Musik und Licht zusammen. Hier ein Ausschnitt aus dem Lied Falter, in dem es um Vergänglichkeit geht:
Kuratiert von Nina Prader. Mit Printed Matters von "Intersectional Matter"(www.WasistIntersektionalitaet.de), a "University of Arts Berlin"research project by Mathilde ter Heijne, Christoph Balzar, Karina Griffith, Kristina Leko, Sandra Noeth, and Nik Haffner; with "Arts of the Working Class"and with UdK artists: Anastasia Putsykina, Ana Eloísa Sommer-Madison, Arianna Cecchetto, Aria Star & Phoenix Kaspian, Aylin Hatice, Charlotte Seebeck, Clay Dresser, damn* zine/ deutsche asiat*innen, make noise! Hannah Lansburgh, Jane Hwang, Jinran Ha & Johanna Michel (N*A*I*L*S), Klara Kirsch, Marina Bertucelli, Mania Godarzani-Bakhtiari, Mika Ebbing, Minh Duc Pham, Miriam Wierzchoslawska, Power Makes Us Sick, Riot Pant Project (Elena Buscaino, Mina Bonakdar, Josef Roth), Sugano Matsusaki, Tania Elstermeyer, Terhi Nieminen, Vincent Hulme et al. Danke an Dr. Ludger Derenthal, Mathilde ter Heijne, Christoph Balzar, Kilian Seyfried, Claudia Assmann, Yvonne Geister, Stefanie Peller, Daniel Rosengarten, Malte Spindler, Sarah Bornhorst, Josephine Pryde.