Das Museum Europäischer Kulturen (MEK) besitzt im deutschsprachigen Raum eine der größten Sammlungen an ethnografischen Objekten aus dem südöstlichen Europa. Deren Grundbestand geht auf die Reisen des Journalisten Gustav-Adolf Küppers zurück. Zwischen 1935 und 1939 erwarb dieser rund 3.400 Objekte für das Museum und fertigte eine breite fotografische Dokumentation an. Trotz vereinzelter Kriegsverluste ist dieser Bestand bis heute ein in seiner Fülle und Bandbreite einzigartiges Zeugnis materieller Kultur der Balkanhalbinsel des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Bestehend vor allem aus Gegenständen der Arbeitswelt und des alltäglichen Lebens, umfasst die von Küppers zusammengetragene Sammlung auch festtägliche Objekte wie Schmuck, Textilien oder karnevaleske Masken. Verschiedene Prozessionsikonen, eine große Anzahl an Gebildebroten und andere kultische Objekte wurden ebenfalls gesammelt. Nicht zuletzt erwarb er an verschiedenen Orten auch ganze Werkstattinventare, die heute größtenteils nichts mehr existente Arbeitswelten dokumentieren.
Ikone, Andachtskasten, Muttergottes mit Kind, heutige Republik Moldau (spät. 19./früh. 20. Jahrhundert) © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen
Bislang noch kaum erschlossen, hat das MEK im Oktober 2023 mit der umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung der Objekte und Fotografien begonnen. Mittels erster Fallstudien und vertiefender Erschließung einzelner Sammelreisen sollen im Rahmen des zweijährigen Forschungsprojekts die Objekte detailliert erfasst und Erwerbungskontexte nachvollzogen werden.
Zudem geht es um die Einbettung der Sammlung in ihre zeitlichen und fachlichen Kontexte: Welches Bild von der Region und ihren Bewohner*innen wird durch sie konstruiert? Welche Rolle spielten dabei auch zeitgenössische volks- und völkerkundliche Diskurse?
Angehörige der Karakatschani-Minderheit (1939), Ostbulgarien © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen
Auf seiner letzten von fünf Sammelreisen besuchte Küppers in der Region Kotel in Ostbulgarien Angehörige der Karakatschani-Minderheit (1939).
Schon vor dem Ersten Weltkrieg war der Sammler Küppers Mitglied der Jugendbewegung „Wandervogel“ und geriet früh in den Einflusskreis völkischer und antisemitischer Theoretiker. Inwiefern beeinflussten solche biografischen Aspekte die Sammlungstätigkeiten? Sind die Objekte und Fotografien gar als Beispiel für eine völkische Wissenschaft zu lesen? Küppers bekleidete nach seiner Tätigkeit für das Museum zudem ab 1939 eine vergleichsweise hohe Stellung im Balkanreferat der Wehrmacht und konnte hierfür direkt an die im Rahmen seiner musealen Tätigkeit erworbenen Kenntnisse anknüpfen. Verweisen die Objekte indirekt gar auch auf imperiale Politik, Krieg, Besatzung im Kontext des Nationalsozialismus?
Artikel von Küppers (1928) mit Glorifizierung der „Artamanen“, Detail, Archiv der deutschen Jugendbewegung © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen
Die „Artamanen“ sind Mitglieder einer radikal-völkischen Siedlergemeinschaft, der auch mehrere spätere NSDAP-Parteigrößen angehörten.
Fragen wie diesen geht das Projekt nach: Neben der genauen Analyse, Kontextualisierung und fotografischen Erfassung der Objekte, umfasst dies vor allem die Aktenrecherche in staatlichen, wissenschaftlichen und musealen Archiven. Auch ist die außergewöhnlich umfangreiche publizistische Tätigkeit des Sammlers Küppers einzubeziehen. Zudem stellt die Arbeit an den Sammlungsbeständen einen ersten Schritt für eine kollaborative Forschung mit Kolleg*innen aus Südosteuropa dar.