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UFO 1665
Die Luftschlacht von Stralsund

05.05.2023 bis 03.09.2023
Kunstbibliothek

Im Jahr 1665 berichten Flugblätter und Zeitungen von einem bizarren Ereignis: am 8. April beobachten nach eigenen Angaben sechs Fischer eine Luftschlacht über der Ostsee bei Stralsund. Gegen Abend sehen sie über der Mitte der Stadt eine dunkelgraue Scheibe. Anhand zeitgenössischer Bild- und Textquellen rekonstruiert die Ausstellung die Medienkarriere dieser sensationellen Meldung. Sie enthüllt Denkmuster und Kommunikationsstrategien, die bis heute die Berichterstattung über „Unidentified Aerial Phenomena“ (UAPs) bestimmen.

Die Ausstellung ist eine Expedition in eine fremdartige Bilderwelt, die sich vor dem Massenpublikum der Museen zwischen den Seiten alter Bücher oder in Archiven versteckt. Wer die Kunst des 17. Jahrhunderts nur aus den großen Gemäldegalerien kennt, wird sich überrascht die Augen reiben. Man hat den Eindruck, als beträte man ein barockes Paralleluniversum mit seltsamen Zeichen am Himmel, Luftschiffen, Weltraumraketen und fliegenden Scheiben. Alles dreht sich um eine der bizarrsten Mediensensationen der Neuzeit: am 8. April 1665, 14 Uhr, beobachten zeitgenössischen Berichten zufolge sechs Fischer beim Heringsfang vor Stralsund, wie sich Vogelschwärme am Himmel in Kriegsschiffe verwandeln, die sich donnernde Luftgefechte liefern. Auf den Decks wimmeln gespenstische Gestalten. Als ihnen gegen Abend über der Kirche Sankt Nikolai noch „eine platte runde Form wie ein Teller“ erscheint, ergreifen sie die Flucht. Tags darauf – so wird berichtet - zittern sie am ganzen Leib und klagen über Schmerzen.

Mediale Transformation

In den Medien verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Flugblätter und Zeitungen machten sich mit unterschiedlichsten Versionen und Interpretationen Konkurrenz. Vor allem religiöse Überzeugungen bestimmten die mediale Transformation des Ereignisses, denn die Menschen lebten in der Überzeugung, dass die Welt von einem Gott regiert wird, der bevorstehende Heimsuchungen an den Himmel projiziert. Auch die Luftschlacht wurde als ein solches „Prodigium“ (lat. „Vorzeichen“) gedeutet. Niemand kam auf die Idee, dass es sich um einen Hoax oder ein Naturphänomen, zum Beispiel eine atmosphärische Spiegelung, handeln könnte.

Nicht nur das religiöse Weltbild, sondern auch das Bilddesign hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die mediale Transformation der Luftschlacht. Eine besondere Rolle spielten futuristische Visionen von Luftschiffen, für welche sich die Menschen des 17. Jahrhunderts begeisterten. Mehr als 100 Jahre vor dem ersten bemannten Ballonflug hatte Francesco Lana Terzi (1631–1687) den Entwurf eines von Vakuumkugeln getragenen Flugboots publiziert, der europaweit Furore machte. Dass das Vorhaben nie realisiert werden konnte, tat der Euphorie keinen Abbruch. Die Menschen träumten von der Eroberung des Luftraums.

Die Macht der Mythen

Ein weiteres Thema der Ausstellung ist die Macht der Mythen: Als am 19. Juni 1670 der Blitz ausgerechnet in die Kirche Sank Nikolai schlug, über der die Scheibe fünf Jahre zuvor unheilverkündend erschienen war, wurde die Himmelserscheinung im Nachhinein als ein Zorneszeichen Gottes interpretiert. Zeitgenössische Beschreibungen und Darstellungen des Ereignisses beschworen einen geheimnisvollen Zusammenhang mit der Zerstörung Babylons durch einen gigantischen Mühlstein, wie sie in der Offenbarung des Johannes geschildert wird.

Das kollektive Bild von der Luftschlacht über Stralsund ist aber nicht nur geprägt von den Medien, Glaubenssätzen, Designs und Mythen des Barock-Zeitalters. Ebenso wird ablesbar, was man sich damals nicht vorstellen konnte. So ist in keiner Quelle des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang mit unerklärlichen Himmelserscheinungen von Außerirdischen die Rede.  Dabei war die menschliche Fantasie längst so weit, sich Expeditionen zu bewohnten Planeten und entsprechende Antriebssysteme vorzustellen. Warum dennoch kein Mensch auf die Idee kam, Außerirdische könnten ihrerseits mit Flugapparaten an unserem Himmel erscheinen, ist eines von vielen Rätseln, das die Ausstellung zu lösen versucht.

Exkurs in die Gegenwart

Am Ende dieser kultur- und mediengeschichtlichen Ermittlungen folgt ein Exkurs in die Gegenwart. Im Fokus stehen die 2019 viral gegangenen Videos und Berichte von Sichtungen rätselhafter „Unidentified Aerial Phenomena“ (UAPs) durch das US-Militär, die es zwei Jahre später sogar auf den Titel einer Ausgabe des „Spiegel“ geschafft haben. Die Bandbreite der diskutierten Deutungen ist irrwitzig groß. Handelt es sich um physikalisch erklärbare Naturphänomene, überlegene Hightech-Drohnen chinesischer oder russischer Produktion, Außerirdische oder gar um Besucher aus der Zukunft? Selbst NASA und Pentagon scheinen keinen Schimmer zu haben. Eines ist jedoch sicher: Die für die Medienkarriere von „UFO 1665“ ausschlaggebenden Faktoren haben bis heute nichts von ihrer Macht verloren.

Kurator

Die Ausstellung „UFO 1665. Die Luftschlacht von Stralsund“ wird kuratiert von Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek.

Publikation zur Ausstellung

Zur Ausstellung erscheint eine Publikation (ISBN 978-3-86832-750-2, Hardcover, 112 Seiten, 70 Farbabblildungen, Deutsch/Englisch, 24 Euro) im Wienand Verlag.


Eine Sonderausstellung der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin

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Weiterführende Links

Publikation zur Ausstellung (Deutsch/Englisch)