Podcast
Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst, Berlin
Das Projekt „Verflochtene Erinnerungen“ setzt sich mit der Erinnerung an die Shoah und die Verbrechen des Kolonialismus auseinander – und daran, wie sie miteinander verbunden sind. Dafür haben sich im Juli 2024 vier internationale Partner*innen mit Kurator*innen aus dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst Berlin, aus der Stiftung Humboldt Forum und weiteren Menschen aus der Berliner Stadtgesellschaft für zehn Tage getroffen. Ihr Ziel war es, Vermittlungsformate zur Erinnerung an Kolonialismus und Shoah zu entwickeln, die spezifisch nicht nur auf die Sammlungen des Ethnologischen Museum, sondern auch auf den Ort Humboldt Forum im Berliner Schloss eingehen.
Katharina Erben: Gegen die Gewohnheit.
Anna Schäfers: Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst Berlin.
Imani Tafari-Ama: This attempt by the Humboldt Forum to have this conversation about our intertwined memories, I think is very important, because there’s a way in which there’s been a contrived colonial amnesia on the part of Europe.
Roey Zeevi: I don’t think it’s important. I think it’s crucial. I think education is the only way to really have a substantial and long change.
Anna Schäfers: Ich bin Anna Schäfers, Kuratorin für Text und Sprache beim Projekt „Das Kollaborative Museum“.
Katharina Erben: Und ich bin Katharina Erben, freiberufliche Kulturredakteurin. Ihr hört den Podcast „Gegen die Gewohnheit“, in dem wir Euch von internationalen Kollaborationsprojekten im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst erzählen.
Patrick Helber: Im Projekt „Verflochtene Erinnerungen“ geht es darum, aus einer Bildungsperspektive sich mit der Erinnerung an die Shoah, aber auch an die Verbrechen des Kolonialismus auseinanderzusetzen.
Anna Schäfers: Das war mein Kollege Patrick Helber Helber – ihr kennt ihn schon aus der Folge zu den ukrainischen Samstagen. Patrick ist der Initiator des Projekts „Verflochtene Erinnerungen“. Dafür hat er sich im Juli 2024 mit vier internationalen Partner*innen, weiteren Kolleg*innen und Menschen aus der Berliner Stadtgesellschaft für zehn Tage getroffen, um Vermittlungsformate eben zur Erinnerung an Kolonialismus und Shoah zu entwickeln.
Patrick Helber: Das geschieht nicht im luftleeren Raum. Weil ich ja als Kurator für Bildung und Vermittlung im Ethnologischen Museum im Humboldt Forum arbeite, sondern dieser Blick, sich quasi die verflochtenen Erinnerungen zwischen Holocaust und Kolonialismus anzusehen, nimmt genau diese beiden Gebäude, Institutionen, Orte, Sammlungen in den Blick. Das heißt, wir schauen uns an, was ist eigentlich mit der Sammlung des Ethnologischen Museums passiert und was erzählt die sowohl über Kolonialgeschichte als auch über Holocaust und NS-Geschichte. Und das gleiche machen wir auch mit der Geschichte des Ortes, weil dort, wo heute das Humboldt Forum steht, stand ja auch zwischen 1933 und 1945 das nicht mehr vom Kaiser bewohnte preußische Schloss.
Katharina Erben: Die Workshop-Teilnehmenden haben sich drei Tage lang zunächst mit dem Ort Humboldt Forum und dem Ethnologischen Museum beschäftigt . Dazu gehörte auch ein Besuch im Depot des Ethnologischen Museums in Dahlem. Hier hat sich schon gezeigt, dass es neben dem ethnologischen oder wissenschaftlichen Blick noch ganz andere Perspektiven auf die cultural belongings gibt. Die Gäste haben ihre Perspektive auf das Projekt Humboldt Forum und auf die Problematik von Provenienz und Restitution geteilt.
Anna Schäfers: Weil Berlin und vor allem das Humboldt Forum doch überwältigend sein können, gab es dann ein gemeinsames Wochenende in Brandenburg. Die Workshop-Partner*innen haben die Impulse aus Berlin mit Blick auf mögliche Vermittlungsformate verarbeitet an einem interkulturellen Ort, dem Deltahaus in Rosow an der Grenze zu Polen. Zurück in Berlin haben sie die Ideen noch einmal auf ihre Haltbarkeit und Tauglichkeit abgeklopft und ersten Außenstehenden erklärt – so auch Katharina Erben und mir für diesen Podcast.
Patrick Helber: Ich fand es total beeindruckend, wie das sich ergeben hat aus diesen unterschiedlichen Personen und unterschiedlichen sozialen Positionen und auch institutionellen Positionen, wie sich da ein total schönes Team geformt hat, das eben nicht mehr exklusiv oder polarisierend in dieser Debatte um Shoa-Erinnerungen und Kolonialismus-Erinnerungen agiert hat, sondern das eben nach Gemeinsamkeiten geschaut hat, nach solidarischen Positionen. Es war wirklich sehr empathisch, die ganze Zusammenarbeit. Und es zeigt eben, dass Vermittlungsarbeit nicht polarisiert, sondern dass Vermittlungsarbeit im Prinzip schaut, was gibt’s für universelle Komponenten bei diesen Auseinandersetzungen, aber auch, was sind die Unterschiede, was sind die partikularen Themen, die man dann trotzdem auch respektieren muss.
Anna Schäfers: Das Kollaborative Museum hatte jeweils eine Person aus Israel, Ruanda, Namibia und Jamaika eingeladen. Dazu kamen aus Berlin noch Leute mit Verbindung zum Humboldt Forum oder zum Thema Kolonialismus und Shoah. Sie alle brachten verschiedene Erfahrungen, Perspektiven und professionelle Fähigkeiten mit.
Assumpta Mugiraneza: Mon nom, c’est Assumpta Mugiraneza. Je viens du Rwanda. Le Rwanda, c’est un tout petit pays au cœur de l’Afrique qui a été d’abord une ancienne colonisation allemande qui après est passée aux Belges. Et puis qui est connu surtout depuis 1994 parce qu’il y a eu un génocide contre les Tutsis.
Katharina Erben: Assumpta Mugiraneza stammt aus Ruanda, einem kleinen Land in Zentralafrika. Ruanda war nach der Berliner Konferenz von 1884/85 zunächst deutsche Kolonie, nach dem Ersten Weltkrieg dann belgische Kolonie. Bekannt wurde das Land 1994 durch den Völkermord der Hutu an den Tutsi. Assumpta war zu diesem Zeitpunkt 27 Jahre alt.
Anna Schäfers: Heute arbeitet die Erziehungswissenschaftlerin, Sozialpsychologin und Politikwissenschaftlerin in Rwanda an einem audiovisuellen Archiv, das das Erbe des Genozids lebendig hält. Mit dieser Expertise kam sie nach Berlin. Assumpta beschäftigt sich mit dem schweren Thema Genozid auch deshalb, weil sie Mutter von vier Kindern ist, die nach dem Völkermord in Ruanda geborenen wurden. Sie sieht sich ihnen und anderen Familien gegenüber in der Verantwortung, dass der Konflikt nicht wieder aufbricht. Wer an die Zukunft denken will, muss über die Vergangenheit nachdenken können.
Assumpta Mugiraneza: Mais en plus, comme je suis maman de quatre enfants que j’ai fait après le génocide, j’ai ce devoir de dire comment faire à partir de ma famille, mais aussi à partir de toutes les familles. Comment peut-on imaginer que cela ne recommence pas? Voilà pourquoi, quand j’ai été invitée ici, je l’ai vécu comme une chance et une opportunité. Parce que penser le futur exige de nous de pouvoir penser le passé.
Katharina Erben: Die Frage nach der Zukunft stellt sich auch Alex Stolze, der sich selbst als Vertreter der Berliner Stadtgesellschaft und der jüdischen Communities vorstellt. Alex ist übrigens auch der Gastgeber und Betreiber des Deltahauses, wo die Gruppe ihr Wochenende verbracht hat.
Alex Stolze: Ich bin Alex Stolze, Musiker, Produzent, vor allem Violinist und im elektronischen Kontext unterwegs und habe bis zum 7. Oktober viele Workshops für Dagesh – jüdische Kunst im Kontext an Schulen gegeben zur Vermittlung lebendigen jüdischen Lebens und bin auch sehr aktiv in diversen jüdischen Communities in Berlin. Und auch gerade als jemand, der in Ostberlin groß geworden ist, der am 9. November im Palast der Republik war, der ein kritisches Verhältnis zum Humboldt Forum hat – und auch meine ganze Community hat das – fand ich diesen Schritt wunderschön, trotzdem hier reinzugehen und mit den Leuten zu arbeiten und jetzt auch der Welt ein bisschen zu zeigen, dass hier etwas passiert.
Anna Schäfers: Um etwas ganz Anderes geht es Tuli Mékondjo. Die Künstlerin stammt aus Namibia, das auch einmal deutsche Kolonie war. Hier beging die deutsche Kolonialmacht von 1904 bis 1908 den Völkermord an den Ovaherero und Nama. Das Land wurde nach dem Ersten Weltkrieg Südafrika zugesprochen. Von dessen Apartheidsregime gewann Namibia erst 1990 seine Unabhängigkeit. Tuli wurde tatsächlich in einem Geflüchtetenlager in Angola geboren, wo ihre Eltern sich der namibischen Befreiungsbewegung Swapo angeschlossen hatten. Die Deutschen hatten viele cultural belongings aus Namibia mitgenommen, die sich heute auch im Depot des Ethnologischen Museums Berlin befinden.
Tuli Mékondjo: For me, I’m very much interested in trying to find out what exactly is it that they have in their depot. in their archives and how, what is the process of restitution and how we can get some of these objects back home. Because, in Namibia, for example, we struggle a lot with access to, let’s say, the sound archives, because they are here in German institutions or European institutions, and they are all scattered all over the place. And we don’t know how to get them and we don’t know exactly how to have access to them. And we are really trying to find ways to step into these spaces, especially the depot, and to see what can we do to connect, to reconnect to these objects.
Katharina Erben: Für Tuli ist ein Ziel ihres Besuchs, Verbindungen zu den cultural belongings in den Berliner Depots herzustellen, auch im Auftrag ihrer Vorfahren. Für sie als namibische Künstlerin ist es aber auch eine Belastung, ein deutsches Publikum zur Auseinandersetzung mit den kolonialen Verbrechen ihrer eigenen Vorfahren anzuregen.
Tuli Mékondjo: For me, as a creative, as a Namibian artist it’s really, the burden is too much. Because I have to come here, working for my ancestors. But on top of it, I still have to somehow talk about von Trotha and what he did. Because there’s a lot of souls in Germany who don’t even want to talk about that legacy because they feel like it’s, maybe because of the shame around it, around this colonial history, so what the ancestors did. But at the end of the day, I’m dealing with a lot, and we should share it.
Katharina Erben: Lothar von Trotha, den Tuli hier erwähnt, war Kommandeur der Kolonialtruppen in Deutsch-Südwestafrika, das heute Namibia ist. Er war verantwortlich für den Völkermord an den Ovaherero und Nama, gab den Vernichtungsbefehl. Die Belastung dieser Verbrechen will Tuli nicht alleine tragen, sondern sie verlangt von Deutschen, dass sie sich mit dem Verbrechen auseinandersetzen.
Anna Schäfers: Der studierte Kommunikations- und Kulturwissenschaftler Roey Zeevi hat zehn Jahre lang an der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Führungen gegeben und ist heute immer noch in der Holocaust-Vermittlung in Israel tätig. Auch ihm geht es nicht nur um die Vermittlung historischer Fakten.
Roey Zeevi: My main issue is not about the history in itself. It’s about giving tools for the teachers that when they encounter their pupils, about the memory of the Holocaust, the pupils at the end, the students, I mean, will ask themselves questions – moral, I would say, all human questions – and that that encounter will be meaningful to them spiritually, emotionally, morally, yes.
Katharina Erben: Roeys Anliegen: Er will Werkzeuge bereitstellen, zu Fragen inspirieren, seelisch, emotional und moralisch. Dabei ist ihm klar, dass das Sprechen über die Shoah an die Kinder angepasst werden muss. Über den Holocaust kann er auch im Zusammenhang mit Sport, Literatur, Biologie sprechen – der Holocaust hatte Einfluss auf alle Lebensbereiche.
Roey Zeevi: My main experience is about the different ways of adjusting the discussion of the memory to the specific child according to his age, according to his cognitive and [psychological] ability, according to his motivations, and I might say also according to his fields of interest. If you’d like to talk about sport, I can do it in the Holocaust. If you’d like to talk about literature, I can do it. If you’d like to talk about biology, I can do it. I’m willing to meet in the middle of the way. And I’m willing to give the tools to the teachers. So it will be a profound meeting, educational meeting.
Anna Schäfers: Vielleicht fragt ihr Euch, warum Holocaust und Kolonialismus hier zusammengebracht werden sollen. Nun, wie der Name des Projekts suggeriert: Es gibt da Verflechtungen. Dazu hört Ihr gleich die Jamaikanerin Imani Tafari-Ama Tafari-Ama. Sie verbrachte das akademische Jahr 2023/24 als Fulbright Scholar-in-Residence im Fachbereich Anthropologie an der University of Massachusetts in Boston. 2016 hat sie die Ausstellung „Rum, Sweat and Tears“ im Flensburger Schifffahrtsmuseum kuratiert. Sie hat mehrere Artikel und Bücher veröffentlicht, unter anderem „Blood, Bullets and Bodies: Sexual Politics Below Jamaica’s Poverty Line“.
Imani Tafari-Ama: This attempt by the Humboldt Forum to have this conversation about our intertwined memories, I think, is very important, because there’s a way in which there’s been a contrived colonial amnesia on the part of Europe, because on the one hand, I find it incredible that while colonialism was happening for centuries, there was no country tapping the other on the shoulder to say, you know, this is wrong. You know, there was no conscience. There was, in fact, a rationalisation that, you know, this is legal and therefore we can justify it from a legal perspective. The dehumanisation was complete in that sense. And then when I listen to Roey talking about the Shoa and the atrocities that were committed against Jews, there was a concerted amnesia also about the humanity of Jewish people at the time. And then when you think of what happened in Rwanda, when you hear Assumpta’s account, there was also the rationalisation that the other is not a subject. And so the common denominator among us is the need for a re-humanisation based on our common experience of trauma. And that is a very powerful thing in terms of coming away with a respect for difference. Because even if you don’t have the same root and the same history together, we could recognise that we have this common thread of, of trauma that we are trying to overcome.
Katharina Erben: Imani benennt sehr klar Probleme: Die Menschen in Europa hielten jahrhundertelang Kolonialismus, die Eroberung und Ausbeutung von Ländern und Menschen, für legal und moralisch richtig. Heute verdrängen viele Leute diese Vergangenheit, so wie während des Holocaust das Mensch-Sein von Jüdinnen und Juden verdrängt wurde. Dieses Aberkennen der Menschlichkeit hat genauso zum Genozid an den Tutsi in Ruanda geführt. Daraus sieht Imani einen Auftrag an uns alle: Wir müssen Menschen als Menschen anerkennen und gleichzeitig unseren Unterschieden mit Respekt begegnen.
Anna Schäfers: Diese Verflechtungen von Holocaust und Kolonialismus zeigen sich gerade auch am Ort Humboldt Forum. Man muss nur genau hinschauen. Einer, der das regelmäßig tut, ist Christian Hajer. Der Stadt- und Landschaftsplaner arbeitet als freier Vermittler in den Ausstellungen des Humboldt Forums und hat sich besonders mit der Geschichte des Ortes zwischen Kaiserzeit und Ende des Nationalsozialismus vertraut gemacht.
Christian Hajer: Mein Beitrag war im Prinzip Wissen, was es über diesen Ort gibt und das Umfeld mit den Orten, an denen es teilweise auch passiert ist, zusammenzubringen. Und im Grunde so eine Art Vorstrukturierung für mögliche Bildungsformate, das heißt jetzt Führungen, aber auch im Rahmen von Workshops. Es ist was anderes, wenn man im geschlossenen Raum über ein Thema redet oder ob man dann einfach dasteht und dann also so dieses Here it happened, weil letztendlich werden ja die Sachen hier stattfinden und da fragt man sich dann, wie man sich im Raum bewegt und einfach Raum und Informationen zusammenbringt. Also war es mir wichtig, die Kolonialzeit mit der Zeit der Weimarer Republik zu verbinden und auch der Zeit des Nationalsozialismus. Und das habe ich dann anhand von einer Biografie gemacht von jemanden, der hier in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft war, Eugen Fischer, und Wegbereiter auch dieser ganzen Rassentheorien und Wegbereiter, in dem Fall auch für den Nationalsozialismus, der sogar dann später auch noch in Freiburg in den 50er Jahren auch noch als Professor emeritiert war. Und angefangen hat er in Namibia mit einer Studie über die Rehobother Basters, über die Vererbung von sogenannten Rassemerkmalen. In der Kaiserzeit, so hat er also angefangen.
Katharina Erben: Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, von der Christian hier spricht, war der Vorläufer der Max-Planck-Gesellschaft, also eine Forschungsorganisation mit verschiedenen Instituten. Sie hatte ihren Verwaltungssitz im Berliner Schloss, also da, wo heute das Humboldt Forum steht.
Eugen Fischer war Senator bei der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und Direktor ihres Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, das die Rassentheorie der Nazis beeinflusste und international verteidigte. Er reiste 1908 nach Deutsch-Südwestafrika, also nach Namibia, um dort über sogenannte Rassenkreuzungen zwischen weißen und Schwarzen Menschen zu forschen – ein zutiefst rassistisches Unterfangen. An der Karriere von Eugen Fischer zwischen rassistischer Forschung in deutschen Kolonien und Verteidigung nationalsozialistischer Rassenlehre zeigt sich, wie die Wissenschaft Kolonialismus und Shoah verbindet.
Anna Schäfers: Diese Verflechtungen ziehen sich bis in die Gegenwart, erkennt Marc Wrasse. Marc ist Kurator für Bildung und Vermittlung in der Akademie der Stiftung Humboldt Forum, wo er Bildungsformate zur kolonialen Geschichte des Ortes entwickelt. Davor war er 20 Jahre am Jüdischen Museum Berlin beschäftigt.
Marc Wrasse: Ich würde sagen, dass ich die letzten zehn Tage als utopische Erfahrung erlebt habe. Wir haben zwei Kriege in unserer Nähe, die beide eskalieren können, jederzeit. Wir haben starke politische Kräfte in Europa, die deutlich antidemokratisch sind. Und wir haben in der Gesellschaft durch diese Kriege eine Mischung aus Empörung und Sprachlosigkeit, die sich toxisch auswirkt auf dieses demokratische Zusammenleben, das die Basis ist für unsere Begegnung. Dass wir trotz dieser Belastungen im Rahmen der „Verflochtenen Erinnerungen“ eine Sprache füreinander gefunden haben, das war sehr schön. Und das würde ich doch als utopischen Moment in dieser ganzen bürokratischen Anstrengung, die das für die Institutionen bedeutet, hier festhalten wollen.
Anna Schäfers: Wie hat es geklappt, diese Utopie zu bauen? Wie funktioniert sie? Was war ihr Ziel?
Patrick Helber: Dadurch, dass wir ja kollaborativ arbeiten – und für diejenigen, die jetzt mit diesem Begriff nichts anfangen können, das heißt, wir versuchen wirklich sehr demokratisch gemeinsam alle Beteiligten einzubeziehen – ist das ein relativ umfangreicher, aber schöner Prozess, der auch von allen wirklich viel Energie und und Zuhören abverlangt. Und wir haben im Moment rausgearbeitet unterschiedliche Anfänge für Workshopkonzepte, aber auch für Führungen.
Katharina Erben: Wie diese Projekte zur Wissensvermittlung konkret aussehen können, erzählt Andrea Scholz. Andrea ist Kuratorin für transkulturelle Zusammenarbeit hier im Museum und hat gemeinsam mit Patrick die Kollaboration vorbereitet.
Andrea Scholz: Was glaube ich noch wichtig ist zu erwähnen ist, dass es, dass diese Workshops ein Mix sein werden aus Wissensvermittlung und künstlerischen Ansätzen, was zum einen sich aus der Konstellation der Gruppe ergibt, weil wir mehrere Leute dabei haben, die eher aus künstlerischen Positionen her arbeiten, und ich glaube aber auch, weil sich das irgendwie organisch so ergeben hat, dass diese Themen nicht rein über die Wissensebene vermittelt werden können, weil wir uns ganz stark auch damit auseinandergesetzt haben, wie man sozusagen eine Öffnung produziert bei den Leuten, an die sich diese Formate richten. Also dass die nicht sofort zumachen und denken: „Oh Gott, das ist mir jetzt alles viel zu hart“, oder „Das will ich gar nicht hören.“ Und da setzen wir relativ stark auf künstlerische Herangehensweisen.
Anna Schäfers: Auch Roey mit seinen Erfahrungen aus Yad Vashem mahnt zur Sensibilität. Bildungsformate sollen nicht traumatisieren, sondern anregen, Fragen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen.
Roey Zeevi: We are talking about very triggered subject. And sometimes we don’t want the pupils, the students to see history for what it really is like the gas chamber in itself or corpse or we don’t want the direct engagement with history. But on the other hand, they have to know the history. And I think that art is a very important tool to negotiate between those two. So, on the one the one hand, the child won’t be traumatised. And on the other hand, he will ask himself important questions about his responsibility over the memory of those atrocities. Because at the end, maybe from the beginning, it will be his own role to take responsibility over those memories. So I don’t think it’s important. I think it’s crucial. I think education is the only way to really have substantial and long change. And it’s important for me, more than all other discussions, more than the historical discussion, more than the political discussion – they are all related – more than the artistic discussion. But the most important is the educational one.
Katharina Erben: Bildung, sagt er, sei die einzige Möglichkeit für nachhaltigen Wandel. Insofern ist sie für Roey wichtiger als alle anderen Diskussionen, seien sie historisch, politisch, künstlerisch.
Anna Schäfers: Das gilt ebenso für die pädagogische Arbeit an anderen Orten. Manches ist in Ruanda vergleichbar, manches nicht.
Assumpta Mugiraneza: Au Rwanda, presque tout a été détruit. Le génocide a vraiment saccagé le pays. Le développement ultrarapide que nous nous sommes imposés dans le post génocide ne cesse d’effacer les traces du passé. Le fait de pouvoir retrouver des choses qui ont été conservées, malgré les limites, malgré les défis pour moi, c’est l’une des plus belles fleurs que je ramène au Rwanda. Les objets en disant hier ça a été pris dans la violence, aujourd’hui ça peut être restitué avec la même violence. Et ces objets, pour notre groupe, ce n’est pas seulement que des objets, c’est aussi des traces importants, c’est aussi des symboles. C’est là où on met la spiritualité au-delà de la matérialité dans laquelle nous vivons.
Anna Schäfers: Assumpta erzählt, dass in Ruanda die meisten Spuren der Vergangenheit ausgelöscht sind. Für sie ist es daher besonders schön, Zeugnisse der Vergangenheit aus Deutschland mit nach Hause zurücknehmen zu können. Damit meint sie die Aufnahmen aus dem Phonogrammarchiv, die sie in Berlin kennengelernt hat.
Katharina Erben: Auch in Namibia ist viel Wissen verloren gegangen oder wurde verdrängt, sagt Tuli. Es gleiche einer Amnesie. Darum ist ihr Wunsch, die Ergebnisse der Workshoptage nicht nur in der Arbeit mit jungen Menschen in Deutschland, sondern auch in Namibia, auch in Ruanda, Jamaika und Israel zu nutzen.
Tuli Mékondjo: I just want to say that we live in a state of amnesia in Namibia, and I feel like, what we are doing here at the Humboldt Forum, like, what we’re trying to do here for these two weeks, it should develop into a process of knowledge sharing and that it should not just be material that is being developed for the German community or for the, German young people because, in places like Namibia and Jamaica and Rwanda and in Israel, there’s also a lot of young people that also need to know about these histories.
Anna Schäfers: Marc betont, dass wir uns zwar einerseits erinnern, andererseits aber auch verlernen müssen.
Marc Wrasse: Weil wir aus Traditionen kommen, in denen man seit Jahrhunderten viel gelernt hat und dieses Wissen eingesetzt hat, um andere auszubeuten, um andere zu erobern und dann auszubeuten, reicht es nicht nur zu lernen, sondern wir müssen gewisse Dinge auch verlernen. Und damit das möglich ist, dazu brauchen wir die Stimmen anderer. Und diese Stimmen konnten wir hören.
Anna Schäfers: Für die deutschen Partner*innen reicht es allerdings nicht aus, diese Stimmen zu hören. Wir müssen uns auch kritische Fragen stellen bzw. zulassen, dass die Partner*innen aus dem Globalen Süden sie uns stellen: Behandeln wir sie fair? Laden wir sie nur als Feigenblätter ein? Wollen wir nur Wissen abgreifen und damit notdürftig unsere problematischen Institutionen dem Anschein nach reparieren?
Tuli Mékondjo: A lot of our items, a lot of our cultural objects, are kept in spaces like these spaces of pain, spaces of conflict and, and what does it mean for us, you know, as people from former colonies when we step into these spaces. What kind of connection should we have with these spaces and how, are we being treated fairly? Are we, for example, are we just being tokenised? Do they just want to get the knowledge from us on how to, I don’t know, fix their problematic institutions. But I think it’s important for us to find the middle ground and to say, okay, if we’re going to come into these spaces we need, it needs to be fair and we need to work in collaboration. And because this pain, these colonial pains and injustice,it’s a burden for all of us to carry.
Katharina Erben: Eine echte Kollaboration bedeutet hier also, die Last der Vergangenheit wirklich gemeinsam zu tragen. Eine reine Alibi-Veranstaltung reicht nicht. Die Aufforderung ist sehr klar, dass Institutionen wie das Humboldt Forum und das Ethnologische Museum ihre Macht nutzen sollen, um für echte Veränderung in der Erinnerungsarbeit zu sorgen, um so für eine bessere Gegenwart und Zukunft zu arbeiten.
Imani Tafari-Ama: Well, you know, we have ways in which we idealise processes. And as Tuli says, one of my hopes is that it is not just an exercise in, you know, we have a project, so let’s tick off that we are being inclusive and we are being representative. And, you know, we have some people from Jamaica or Cameroon or Rwanda or Israel here for, saying that Germans are dealing with this issue. I would love it to be a substantive process that leverages the power that an institution that like Humboldt Forum embodies so that it can be taken to a more profound level and that the change that we want to see in the world could really happen.
Patrick Helber: Ja, ich würde mir wünschen, dass aus diesem tollen Projekt dann auch einfach viele gute und kritische Auseinandersetzungen hier im Haus in Form von Bildungsformaten stattfinden, die wir eben dann auch akteursübergreifend, also die Staatlichen Museen gemeinsam mit der Stiftung Humboldt Forum, umsetzen wollen, so dass eben das, was wir auch jetzt hier mit dem total tollen Einsatz unserer internationalen Partner*innen auf die Beine gestellt haben, eben auch dann am Ende im Haus implementiert wird, in den Sammlungen implementiert wird, so dass sowohl erwachsene Besucher als auch Schüler*innen die Möglichkeiten haben, Informationen hier zu diesen wichtigen zeithistorischen Fragen zu bekommen, weil ich denke, das ist unsere Aufgabe als Bildungseinrichtung.
Anna Schäfers: Also: Schaut in das Vermittlungsprogramm des Humboldt Forums. Ab 2025 solltet Ihr dort buchbare Programme zur „Verflochtenen Erinnerung“ finden können.
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Katharina Erben: Das war „Gegen die Gewohnheit. Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst.“ Produziert von speak low im Auftrag der Staatlichen Museen zu Berlin.
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