Podcast
Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst, Berlin
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 flohen viele Menschen aus der Ukraine, auch nach Deutschland. Die Staatlichen Museen zu Berlin haben 2022 Stipendien an ukrainische Forscher*innen verliehen, um Geflüchteten zu helfen. Mit dabei war Roksolana Ludyn, die von August bis Dezember 2022 ein solches Stipendium hatte und sich in dieser Zeit in die Arbeit der Bildung und Vermittlung des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst im Humboldt Forum eingebracht hat. Seitdem ist sie als freie Vermittlerin in den Ausstellungen dort unterwegs und macht besondere Programme für geflüchtete Menschen aus der Ukraine. Wir haben uns mit ihr und Dr. Patrick Helber über diese Programme unterhalten.
Katharina Erben: Gegen die Gewohnheit.
Anna Schäfers: Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst Berlin.
Roksolan Ludyn: Man kann Museen ein bisschen als zu Hause sehen. Man kann Museen nicht nur als etwas Hochintellektuelles sehen, sondern auch als etwas, das Nähe gibt und warm ist.
Anna Schäfers: Ich bin Anna Schäfers, Kuratorin für Text und Sprache beim Projekt „Das Kollaborative Museum“.
Katharina Erben: Und ich bin Katharina Erben, freiberufliche Kulturredakteurin. Ihr hört den Podcast „Gegen die Gewohnheit“, in dem wir Euch von internationalen Kollaborationsprojekten im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst erzählen.
Anna Schäfers: Denn die beiden Museen erforschen und vermitteln ihre Sammlungen nicht nur allein, sondern arbeiten mit Partner*innen aus der ganzen Welt zusammen. Zum Beispiel in der Restaurierung, der Provenienzforschung oder der Vermittlung.
Katharina Erben: Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine angegriffen, Anfang 2024 läuft dieser Krieg immer noch. Wie reagiert das Museum darauf?
Anna Schäfers: Die Staatlichen Museen zu Berlin haben 2022 Stipendien an ukrainische Forscher*innen verliehen, um relativ schnell Geflüchteten zu helfen. Mit dabei war Roksolana Ludyn, die meine Kolleg*innen in der Abteilung für Bildung und Vermittlung unterstützt hat. Roksolana hatte das Stipendium von August bis Dezember 2022. Seitdem arbeitet sie als Freelancerin für die Museen.
Heute also bei uns im Studio: Roksolana Ludyn…
Katharina Erben: … und Patrick Helber, Kurator für Vermittlung beim Ethnologischen Museum und dem Kollaborativen Museum. Sie stellen uns hier einmal vor, wie die Zusammenarbeit aussieht und was der Gedanke dahinter ist.
Roksolana Ludyn: Ich bin ein bisschen zu einem Projekt mit ukrainischen Geflüchtete gekommen. Das Ziel von diesem Projekt war es vielleicht, die ukrainische Community ins Museum zu bringen. Ein Ausbildungsziel war, dass ich mehr über verschiedene Kulturen und Objekten im Museum erzählen kann. Ich denke, es war ein bisschen eine Hilfe bei der Sozialisierung und Integration ukrainischer Geflüchteter. Das Leben von Menschen, die wegen dem Krieg aus einem Land weggezogen sind, ist nicht so einfach. Deswegen können diese Veranstaltungen vielleicht auch ein bisschen therapeutisch sein.
Katharina Erben: Patrick ergänzt diesen Ansatz um die institutionelle Perspektive – was haben die Museen von dieser Art von Community-Arbeit? Warum ist das Teil ihres öffentlichen Auftrags?
Patrick Helber: Das ist eine coole Möglichkeit, dass wir dankbarer Weise jemanden wie Roksolana haben, der in eine Community direkt hinein wirkt, aus dieser Community ist, dass wir mit der Person mal schauen können, wie kann es wirklich aussehen, langfristig durch permanente Formate und Angebote eine Beziehung zu bestimmten Menschen aus der Stadtgesellschaft herzustellen? Das war sozusagen unsere Ausgangsgeschichte: zu schauen, wie können wir das Humboldt Forum zu einem Wohlfühlort für Ukrainer*innen machen?
Anna Schäfers: Als Roksolana im August 2022 zu uns kam, waren parallel auch zwei Fellows aus Nigeria bei uns und haben gemeinsam mit dem deutschen Team das Vermittlungsprogramm rund um die berühmt-berüchtigten Benin-Bronzen entworfen.
Katharina Erben: Berühmt-berüchtigt, weil diese Kunstwerke ein so eindeutiges Beispiel für Raubkunst und koloniale Gewalt sind. 1897 hat die britische Armee den königlichen Palast in Benin City im heutigen Nigeria geplündert und zerstört. Soldaten haben sich Tausende von Kunstwerken angeeignet, die dann zu großen Teilen in Großbritannien versteigert wurden und in Museen landeten. 512 davon auch in Berlin.
Anna Schäfers: Die Staatlichen Museen haben im August 2022 das Eigentum an diesen Bronzen an Nigeria zurückübertragen; wobei ein Drittel von ihnen noch für mehrere Jahre als Leihgabe in Berlin bleiben wird.
Anna Schäfers: In der Arbeit am Vermittlungsprogramm zu diesen Werken ergaben sich Parallelen zwischen dem Raub in Nigeria und der aktuellen Situation in der Ukraine.
Roksolana Ludyn: Ich hatte mehr über Benin erfahren und über Restitutionsfragen, über diesen Dialog, den es jetzt zwischen Benin und Berlin, Deutschland und Nigeria gibt. Und ich finde, das war auch sehr wichtig zu wissen. Und wenn ich über diese Diskussionen ukrainischen Menschen erzähle, das ist auch sehr wichtig, weil wir Parallelen sehen auch zwischen unserer ukrainischen Kultur und Geschichte und dem, was jetzt passiert. Während des Kriegs sind viele Objekte von russischen Menschen weggenommen worden aus unseren Museen. Wenn ich Führungen gemacht habe für ukrainische Menschen über Benin, haben diese Führungen auch viele Fragen und viele Diskussionen mitgebracht. Wir haben Parallelen gesehen und manchmal war das etwas schmerzvoll, aber es waren wichtige Diskussionen.
Katharina Erben: Das entspricht dann nicht wirklich dem Humboldt Forum als Wohlfühlort, den Patrick eben angesprochen hat.
Anna Schäfers: Dafür zeigt es die Relevanz, die Ausstellungen haben können und sollten. Museen sind ja nicht abgeschottet von der Welt um sie herum, sondern existieren in ihr und durch sie. Darum müssen sie Angebote machen für die Menschen, die in dieser Welt leben.
Katharina Erben: Wenn man aus dem Museum kommt und die Welt ein bisschen anders sieht, sie vielleicht besser versteht, das wäre doch gar nicht schlecht. Das Museum sollte die Welt aber auch hineinlassen – dafür sind die Ukrainischen Samstage und Sonntage, die Roksolana gestaltet hat, ein gutes Beispiel.
Roksolana Ludyn: Das war immer so, dass wir zum Beispiel einen Workshop gemacht haben, dann Tee und Gespräche und dann eine Führung, oder zuerst eine Führung und dann einen Workshop. Aber dazwischen gab es Tee und Gespräche. Wir wollten immer etwas Praktisches machen, etwas, das man mit dem Körper machen kann, zum Beispiel Yoga, oder etwas mit den Händen basteln oder singen – etwas, das verbunden ist mit Sinnen, mit Gefühlen. Etwas Theoretisches gab es als Einführung. Ich finde, dass man das Museum sehen kann als etwas, das Wärme gibt, ein bisschen als zu Hause. Man kann Museen nicht nur als etwas Hochintellektuelles oder kulturell Hohes sehen, sondern auch als etwas, das Nähe gibt und warm ist.
Anna Schäfers: Ein Museum als Ort der Wärme, des sozialen Zusammenseins, das gefällt mir gut. Dabei tritt das Museum hauptsächlich als Gastgeber auf, nicht als die Institution mit aller Deutungshoheit. Auch die Workshopleiterinnen stammten zum allergrößten Teil aus der Ukraine.
Roksolana Ludyn: Ich habe gedacht, es wäre gut, wenn Künstlerinnen und Menschen aus der Ukraine, zum Beispiel Wissenschaftler, die Möglichkeit haben, sich auszudrücken, etwas zu erzählen und etwas zu machen. Fast jeder ukrainische Samstag oder Sonntag wurde nicht nur von mir gemacht, sondern es gab einen Gast, eine Künstlerin oder Trainerin aus der Ukraine, mit der wir gearbeitet haben. Zum Beispiel haben wir ukrainische Puppen, traditionelle Puppen gemacht und haben dafür Maryna Palii, eine Künstlerin, eingeladen. Wir haben auch Yoga gemacht und eine Yoga-Trainerin eingeladen. Für einen Gesangs-Workshop haben wir eine Schauspielerin und Sängerin eingeladen.
Katharina Erben: Ein bisschen stellt sich da dann aber doch die Frage, wieso diese Veranstaltungen im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst stattfinden. Wir wollten deshalb von Roksolana wissen, welche Verbindungen die ukrainischen Tage in die Ausstellungen hinein hatten.
Anna Schäfers: Daraufhin hat sie uns von einer Führung zur Ausstellung „Confronting Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures“ erzählt. Das ist ein Kooperationsprojekt des Ethnologischen Museums mit der Museums Association of Namibia. In der Ausstellung wird unter anderem eine Puppe bzw. deren Bild gezeigt. Diese Puppe wurde von der Königin Olugondo geschaffen, die sie der finnischen Missionarstochter Anna zu ihrer Hochzeit schenkte.
Roksolana Ludyn: Die Führung war über namibische Puppen. In Namibia ist es so, dass diese Puppen nicht nur Spielzeuge waren, sondern auch wichtige Objekte zu bestimmten Lebensereignissen, meistens für Mädchen und Frauen. Ich habe eine Geschichte über die namibische Königin Olugondo erzählt. Eine europäische Puppe war mehr ein Spielzeug in der Kindheit, aber für die namibische Königin war die Puppe etwas Rituellesse. Sie hat Anna eine Puppe Anna zur Hochzeit geschenkt. Ich habe nach diesen kulturellen Parallelen gesucht. In der Ukraine sind diese Puppen, Motanka, auch mit dem Fruchtbarkeitsriten verbunden, mit Hochzeiten. Wenn zum Beispiel Frauen nicht verheiratet waren, konnten sie solche Puppen machen, zusammen sitzen und Lieder über Hochzeiten singen. Das war so ein magischer Moment, diese Puppen hatten magische Bedeutung.
Anna Schäfers: Bezüge zu den Ausstellungen gab es jedes Mal: Nach einer Führung zur Musikethnologie gab es einen Gesangsworkshop. Auf eine Yoga-Session folgte ein Besuch bei den Kunstwerken aus dem Hinduismus und dem Buddhismus, deren Philosophien mit der des Yoga verwandt sind.
Katharina Erben: Die Gruppe hat sich dabei Räume angeeignet, wie es die Architekt*innen und Ausstellungsgestalter*innen vielleicht nicht erwartet hatten.
Patrick Helber: Dass wir eben mit einer Gesangstrainerin, den Ambisonics Raum umgewidmet haben. Der Ambisonics Raum, für diejenigen, die noch nie im Humboldt Forum waren, das ist ein Hörraum, in dem ist nichts drin, es ist quasi ein white oval, man kann sagen, das Oval Office des Humboldt Forums. Und den haben wir einfach genutzt, um umgeben von Musikinstrumenten, über die dann Roksolana davor eine Führung gemacht hat, also außereuropäische Musikinstrumente, wir dann eben den Ukrainer*innenn einfach die Chance gegeben haben, mit einer Gesangstrainerin gemeinsam zu singen und sich diesen Raum anders anzueignen. Und auch für das von Roksolana angesprochene Yoga-Event, bei dem wir dann 40 Ukrainer*innen hatten, die zuerst mal mit Yogamatte ins Humboldt Forum rein wollten, was die Securities zuerst nicht so mochten, hatten wir dann am Ende wirklich den ganzen Raum voll mit Menschen, die da Yoga gemacht haben.
Anna Schäfers: Roksolanas persönliche Interessen waren also das verbindende Element zwischen diesen doch sehr unterschiedlichen Veranstaltungen. Seit August 2022 haben mehrere hundert Personen an von Roksolana organisierten Workshops teilgenommen. Insofern hatten offenbar auch andere Menschen Interesse an ihren Veranstaltungen.
Katharina Erben: Wie habt ihr diese Menschen denn erreicht?
Anna Schäfers: Patrick nennt es den „Roksolana-Vibe“, der sich hier bewährt hat: Die Museen haben die Veranstaltungen nicht klassisch über ihre Website annonciert, sondern sind einen anderen Weg gegangen. Bzw. haben Roksolana diesen anderen Weg gehen lassen.
Patrick Helber: Im Prinzip hatten wir das Glück, dass Roksolanas sich bereit erklärt hat, ihre persönlichen Netzwerke, also die von Ukrainer*innen in Berlin zu nutzen. Das heißt, wir haben ganz, ganz viel über Social Media und vor allem über den Messenger Telegram die Community direkt angesprochen, was eben einfach dazu geführt hat, dass wir immer sehr, sehr gut besucht wurden und dass wir sowohl Gäste, die teilgenommen haben, massig gefunden haben, als auch Künstlerinnen aus der Ukraine oder Kulturschaffende aus der Ukraine zum Brainstorming eingeladen haben, mit denen wir dann später auch einzelne Workshops durchgeführt haben. Wir haben nicht nur Programm für Ukrainer*innen gemacht an den Samstagen und Sonntagen, sondern wir haben auch Ukrainer*innen für Ukrainer*innen, Programm an den Samstagen und Sonntagen machen lassen.
Katharina Erben: Gerade arbeiten Patrick und Roksolana daran, dass die Veranstaltungsreihe fortgesetzt werden kann. Und wir wünschen Ihnen viel Erfolg!
Katharina Erben: Das war „Gegen die Gewohnheit“. Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst.
Katharina Erben: Produziert von speak low im Auftrag der Staatlichen Museen zu Berlin.
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