Die Dokumentation ist für viele Arbeitsbereiche des Museums von großer Bedeutung. Sie bildet die Grundlage für museale Praktiken wie beispielsweise die Erwerbung, Präsentation und Leihe von Kunstwerken. Eine gute Werkdokumentation ist Voraussetzung für die Planung von Ausstellungen, die Organisation von Transporten, die Konzeption von speziell angepassten Restaurierungsmaßnahmen und Erhaltungsstrategien sowie die Beurteilung von möglichen Risiken für ein Kunstwerk. Im Falle von Medienkunstwerken ist die Dokumentation sogar eines der wichtigsten Werkzeuge, mit denen der langfristige Erhalt der Werke garantiert werden kann.
„From Source to Poem“ von Rosa Barba
Die Filminstallation „From Source to Poem“ (2016) der Künstlerin Rosa Barba fand 2020 Eingang in die Sammlung der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof. In der Projektion des 35-mm-Films sind unter anderem Aufnahmen des weltweit größten Medienarchivs, dem Packard Campus des National Audiovisual Conservation Center in Culpeper, Virginia, und eines Solarkraftwerks in der Mojave-Wüste in Kalifornien zu sehen. Eine Soundcollage aus Archivaufnahmen und komponierten Geräuschen begleiten die Bilder im Film.
Während des Erwerbungsprozesses wurde neben der Recherche zum Inhalt des Werks auch eine Dokumentation von vorangegangenen Präsentationen von „From Source to Poem“ zusammengestellt. Zudem wurde erfasst, welche Eigenschaften für welche Bestandteile in welcher Konstellation für das Kunstwerk wesentlich sind und somit seine Werkidentität formen.
Eine wichtige Grundlage zur Bestimmung dessen bot die von der Künstlerin bereitgestellte Installationsanweisung, in der sich die zu verwendende Technik wie auch die für eine Präsentation erforderlichen Raummaße, Lichtverhältnisse, die erwünschte Akustik, Details zum Aufbau und zur Wartung aufgeführt fanden. Im schriftlichen wie auch mündlichen Austausch mit der Künstlerin konnten die Werkangaben spezifiziert und um weitere Informationen wie etwa zur Produktion des Films ergänzt werden.
Durch die Recherchen wurde unter anderem deutlich, dass die analoge Projektion des 35-mm-Films für „From Source to Poem“ einen hohen Stellenwert hat. Gespräche mit Filmtechnikern, die im Rahmen von Ausstellungen an der Installation des Kunstwerks beteiligt gewesen waren, rundeten das Verständnis über das eingesetzte analoge Filmmaterial sowie den hierfür erforderlichen Projektor ab, sodass eine fundierte Einschätzung über die zukünftige Verfügbarkeit dieser für das Kunstwerk relevanten Medien und Technologien erfolgen konnte.
Die Erwerbung stellt insbesondere für Kunstwerke mit Medienkomponenten ein Schlüsselmoment dar, da im Laufe dieses Prozesses die grundlegende Dokumentation zu seinen werkdefinierenden Eigenschaften erstellt werden kann. Dies bildet die Voraussetzung dafür, dass die für den langfristigen Erhalt erforderlichen Objekte, Geräte und andere Komponenten, aber auch das Wissen um ihre korrekte Zusammenstellung und den speziellen Konditionen ihrer Präsentation, Eingang in die Sammlung finden können.
Darüber hinaus können Risiken vorausgesehen und konservatorische Maßnahmen rechtzeitig geplant werden, damit fehlerhafte Interpretationen, Schäden oder sogar der Verlust von Kunstwerken verhindert werden können. Auf Basis der im Erwerbungsprozess erstellten Dokumentation kann somit sichergestellt werden, dass auch mit sich verändernder Situation die Werkidentität eines Medienkunstwerks gewahrt wird und dieses auch in Zukunft gemäß seiner ursprünglich intendierten Weise ausgestellt werden kann.
„Fat to Ashes“ von Pauline Curnier Jardin
Die Videoinstallation „Fat to Ashes“ von Pauline Curnier Jardin wurde erstmalig in der gleichnamigen Einzelausstellung der Künstlerin im Hamburger Bahnhof präsentiert (13. April bis 19. September 2021). Hierfür entwarf die Künstlerin eine begehbare, fast deckenhohe Installation für die Historische Halle des Museums. Im Innerem der Installation wurde auf eine großformatige Leinwand ein Film der Künstlerin projiziert, in dem Szenen eines religiösen Fests zu Ehren der Heiligen Agatha im sizilianischen Catania, die Schlachtung eines Schweins und Aufnahmen vom Kölner Karneval zu sehen waren.
Mit dem Titel ihrer Arbeit nimmt die Künstlerin Bezug auf die Zeit zwischen dem Auftakt des Straßenkarnevals an Weiberfastnacht – regional auch Fettdonnerstag genannt – und Aschermittwoch, welcher den Beginn der Fastenzeit im christlichen Kalender markiert. So wird bereits mit dem Titel auf die im Film thematisierte Spannung zwischen feierlicher Ausgelassenheit, genüsslichen Exzess und Spektakel einerseits sowie Martyrium, Tod und diversen Formen der Gewalt andererseits hingedeutet.
Die Verschränkung oder Gleichzeitigkeit von scheinbar Widersprüchlichem fand sich weiter in der Installation gespiegelt. Die tragende Stahlkonstruktion war so mit weichem, cremefarbenem Schaumstoff ausgekleidet, dass sie mit ihrer kreisrunden Form und der mit bogenförmigen Ausschnitten durchbrochenen Fassade sowohl an ein Amphitheater wie das Kolosseum in Rom als auch an eine zweistöckige Marzipantorte erinnerte.
Auch darüber hinaus verwies die Installation in vielfältiger Weise sowohl visuell als auch inhaltlich auf die filmische Werkaussage, wenn sie diese nicht sogar verstärkte. In der von der Künstlerin selbst entwickelten und gemeinsam aufgebauten Installation wurden die werkdefinierenden immateriellen Aspekte von „Fat to Ashes“ anschaulich und erfahrbar. Hier wird die von Curnier Jardin mit dem Kunstwerk angestrebte immersive Erfahrung von Monumentalität, Überwältigung oder auch alptraumhaftem Gefangenseins manifest, welche den Besuchenden durch unter anderem die Ausstellungsarchitektur und den Soundeinstellungen vermittelt werden sollen.
Somit ist die Ausstellung im Hamburger Bahnhof eine wichtige Referenz für zukünftige Präsentationen des Kunstwerks. Aus diesem Grunde wurde die Iteration mittels Fotografien, Videoaufnahmen, Konstruktionsplänen und Gerätelisten in Detailgenauigkeit dokumentiert, auch wenn es sich hierbei nur um eine von denkbar vielen Möglichkeiten handelte, wie das Kunstwerk ausgestellt werden kann. Die Dokumentation von Iterationen eines Medienkunstwerks gibt also wichtige Anhaltspunkte dafür, wie der belassene Interpretationsspielraum von variablen Werkkomponenten zu deuten ist, wenn sie in Ausstellungen realisiert werden.
„The best animals are the flat animals, Version 1“ von Diana Thater
Als Diana Thaters dreikanalige Videoinstallation „The best animals are the flat animals, Version 1“ (1998) nach zehn Jahren erneut ausgestellt werden sollte, wurde zuerst geprüft, inwiefern die vorliegenden Installationsanweisungen noch zeitgemäß waren.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die visuellen Inhalte von „The best animals“ von Laserdiscs oder DVDs abgespielt und mittels Röhrenprojektoren projiziert werden. Im Zuge der Vorbereitungen für die Ausstellung im Jahre 2021 wurde jedoch im Dialog mit der Künstlerin beschlossen, dass für diese und zukünftige Präsentationen anstatt der vormals vorgegebenen, nun aber veralteten Speichermedien und Geräte stets jeweils neue Technologien eingesetzt werden sollen. Dafür wurde von der Künstlerin das auf Magnetband gespeicherte originale analoge Videomaterial neu digitalisiert und bearbeitet, sodass auch bei der Verwendung von derzeit aktuellen Abspiel- und Projektionsgeräten die vormalige Ästhetik erhalten bleibt.
Da analoge Videoformate nunmehr obsolet sind, stellt die Migration in digitale Formate eine wichtige Maßnahme hinsichtlich des langfristigen Erhalts von auf analogen Videomaterial basierenden Kunstwerken dar. Gleichzeitig kann die Digitalisierung ein weitreichender Eingriff in ein Kunstwerk sein. Umso wichtiger ist es daher zum einen zu gewährleisten, dass die werkdefinierenden Eigenschaften eines Kunstwerks auch nach der Digitalisierung erhalten bleiben. Zum anderen ist es unerlässlich, vorgenommene Maßnahmen unter Berücksichtigung des gesamten Entscheidungsprozesses und den hieran beteiligten Personen zu dokumentieren, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt ungewollte Veränderungen von solchen unterschieden werden sollen, die zulässig und vielleicht sogar notwendig sind.
Medienkunstwerke stehen oftmals in Abhängigkeit zu Technologien, die in absehbarer Zeit überholt sein werden. Zum Erhalt dieser Werke ist deshalb die Planung von regelmäßigen Revisionen und die Durchführung von konservatorischen Maßnahmen geboten. Da sich aber sowohl Hardware als auch Software weiterhin und mittlerweile in immer kürzeren Abständen weiterentwickeln und verändern, gilt es technologischen Wandel zu antizipieren und rechtzeitig Erhaltungsstrategien in Kraft zu setzen. Der Erhalt von Medienkunstwerken ist daher ein Prozess, der von den verantwortlichen Personen und Institutionen kontinuierliches Engagement erfordert.
Projektleitung: Jee-Hae Kim
Projektteam: Elisa Carl (Wissenschaftliche Assistenz), Andrea Sartorius (Wissenschaftliche Mitarbeit), Lihi Levie (Gastwissenschaftlerin)
Dank an: Rosa Barba, Pauline Curnier Jardin, Diana Thater, Robert Haag, 24Frame Kinoprojektion GmbH & Co. KG
Förderung: Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM)
Laufzeit: 01.01.2021 bis 31.12.2022