Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte, Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Entwurf zur Dekoration, Die Sternenhalle der Königin der Nacht, Detail / Bildnachweis: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Karl Friedrich Schinkel, Die Zauberflöte, Oper von Wolfgang Amadeus Mozart, Entwurf zur Dekoration, Die Sternenhalle der Königin der Nacht, Detail / Bildnachweis: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

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Die koloniale(n) Debatte(n) und das museale Selbstverständnis. Ein Positionspapier des Ethnologischen Museums

Kolonialismus und das Ethnologische Museum Berlin

Kolonialismus bezeichnet eine Herrschaftspraxis – verbunden mit der Inanspruchnahme von Territorien. Diese Herrschaftsform ist motiviert von wirtschaftlichen, machtpolitischen- und strategischen Zielen. Zu deren Erreichung werden die kolonisierten Gesellschaften politisch unterdrückt und wirtschaftlich ausgebeutet. Zudem wird ihre kulturelle, intellektuelle und religiöse Selbstbestimmung stark eingeschränkt, wenn nicht sogar unmöglich gemacht.

Die Kolonisator*innen eignen sich Ressourcen und Arbeitskraft der Kolonisierten oft gegen deren Widerstand gewaltsam an und rechtfertigen ihr Verhalten mit Ideologien, die auf der Überzeugung ihrer eigenen Höherwertigkeit fußen.

Kolonialismus bezeichnet gleichzeitig die Phase der vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, europäischen Expansion ab dem 15. Jahrhundert: Diese begann mit der Eroberung Amerikas, erreichte mit der Kolonisierung weiter Teile Afrikas, Asiens und Ozeaniens im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt und wirkt bis heute fort. Schlüsselfaktoren sind die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien und insbesondere seit der Industrialisierung die Suche nach Absatzmärkten. Da sich Machtverhältnisse bis heute auch in staatlichen Kulturinstitutionen wie dem Ethnologischen Museum widerspiegeln, plädieren wir dafür, den Begriff Kolonialismus vom bloßen Bezug auf Artefakte zu lösen und die historischen und gegenwärtigen ökonomischen Verflechtungen des globalen Kapitalismus mit machtpolitischen Interessen  stärker in den Blick zu nehmen.

Große Teile der materiellen und immateriellen Sammlungen aus der ganzen Welt, die sich heute in den Beständen europäischer Museen befinden, wurden unter kolonialen, oft gewaltsamen, Bedingungen zusammengetragen; die Verantwortlichen in Museen sowie Sammler*innen haben sich die (Infra-)Strukturen des europäischen Kolonialismus zunutze gemacht und diese auch durch ihr Sammlungsinteresse gestärkt. Doch nicht nur das Sammeln, auch andere museale Praktiken spiegelten koloniale Vorstellungen und Ansprüche wider.

Den Museen in Berlin kommt eine besondere Bedeutung zu, da sie laut Bundesratsbeschluss des Deutschen Reiches 1889 zu zentralen Sammelstellen für natur- und kulturhistorische Objekte aus den deutschen Kolonien erklärt wurden. Der Beschluss besagte unter anderem, dass alle aus den Kolonien eingehenden, nach damaligen Standards als „wissenschaftlich“ deklarierten Sammlungen, die sich Teilnehmer*innen auf staatlich finanzierten „Expeditionen“ aneigneten, an das Königliche Museum für Völkerkunde bzw. das Museum für Naturkunde und das Botanische Museum in Berlin zu senden waren. Ab dem Jahre 1896 wurden die Bestimmungen des Bundesratsbeschlusses explizit auch auf Kriegszüge ausgedehnt, die zum damaligen Zeitpunkt als „Strafexpeditionen“ bezeichnet wurden und Gewalt geradezu legitimierten.

Aber auch in der Ausstellungspraxis und Wissensvermittlung des Museums wurden koloniale und rassistische Weltbilder reproduziert. Ausstellungsobjekte dienten als Repräsentanten bestimmter Regionen und präsentierten vermeintlich homogene Völker, denen die Teilnahme an der Weltgeschichte und somit die Gleichzeitigkeit mit europäischen Gesellschaften verweigert wurde. Während das offizielle Ziel darin bestand, für ein besseres Verständnis fremder Kulturen zu werben, stützten die Ausstellungen oftmals stereotypisierende und rassifizierende Vorstellungen.

Haltung zur Aufarbeitung kolonialer Geschichte, Strukturen und ihrer Folgen für das Ethnologische Museum

Die kritische Aufarbeitung des Kolonialismus, dessen Prägung der europäischen Moderne und seiner bis heute fortdauernden Kontinuitäten sind gesamtgesellschaftliche Prozesse. Das Ethnologische Museum spielt in diesem Prozess eine aktive Rolle. Dabei geht es nicht nur um die Geschichte der Sammlungen, sondern auch um deren Relevanz in der Gegenwart. Grundlage für die Auseinandersetzung ist die kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte und der Rolle der Museen im Kolonialismus. Dabei kommt der, soweit möglich, systematischen Aufarbeitung der Erwerbungskontexte der Sammlungsbestände eine besondere Bedeutung zu.

Von großer Bedeutung für die Mitarbeiter*innen ist dabei die Zusammenarbeit mit den Nachfahr*innen der Produzent*innen, Nutzer*innen und Vorbesitzer*innen in den sogenannten Herkunftsgesellschaften der Objekte, mit den heutigen Nationalstaaten sowie mit Angehörigen der Diaspora. Diese Form der Kooperation gehört für die Kurator*innen am Ethnologischen Museum seit Jahrzehnten zum Arbeitsalltag. Dabei wird das Ziel verfolgt, nachhaltige und langfristige Beziehungen zu etablieren. Diese sollen eine Basis bieten für offene, kooperative Prozesse, in denen Fragestellungen und Ziele gemeinsam definiert werden und verschiedene Sichtweisen ihren Platz haben. So sollen nicht nur die Perspektiven auf die Sammlungen erweitert, sondern vielmehr die auf europäischen Blickwinkeln basierende Wissensproduktion und Verfügungsmacht über die Objekte in Frage gestellt werden, indem museale Kategorisierungen aufgebrochen werden. Kooperationen können das Fortwirken von kolonialen Strukturen, Bildern und Erzählungen eingehend untersuchen und offenlegen sowie andere Praktiken und Sichtweisen hervorbringen.

Die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus im musealen Rahmen ist kein selbstreferentielles Unterfangen. Ausstellungen, Vermittlungsformate und Veranstaltungen sollen stärker als Foren für Diskussionen und Austausch konzipiert werden. Damit werden Prozesse der Wissensproduktion und alle Aspekte der Arbeit im Museum transparenter an die Öffentlichkeit herangetragen. Eine der Voraussetzung hierfür ist, die Sammlungsbestände und Archive des Ethnologischen Museums in digitaler Form offenzulegen und damit weltweit zugänglich zu machen.

Um eine ernsthafte Dekolonisierung des Museums voranzutreiben und nicht Gefahr zu laufen, einer institutionellen Nabelschau zu erliegen, strebt das Ethnologische Museum eine strukturelle Diversifizierung des Personals auf allen Ebenen der Museumsarbeit sowie eine Entwicklung gleichberechtigter Beziehungen mit Kooperationspartner*innen an.

Kontinuierliche Entwicklung und Anpassung aller musealen Bereiche

Die Aufarbeitung der kolonialen Kontexte der Sammlungen verändert die Arbeit und das Selbstverständnis des Museums. Sie erweitert das Museum von einem Standort, an dem ein Archiv der Vergangenheit (auf)bewahrt wird, in einen Ort, der einen dynamischen und ergebnisoffenen Prozess der Kommunikation, Begegnung, kritischen Reflexion und des Respekts ermöglicht. Dies betrifft alle Bereiche der Museumsarbeit, einschließlich der Art und Weise, wie das Museum die Sammlungen kategorisiert, katalogisiert und lagert, wie es die Rolle und die Ziele der Konservierung und Restaurierung versteht, wie Ausstellungen und Vermittlungsformate konzipiert, geplant und präsentiert werden. Unerlässlich für diese Wandlung und Öffnung des Museums ist die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Disziplin der Ethnologie, mit der Geschichte der Institution Museum und ihrem Handeln in der Gegenwart. Die Mitarbeiter*innen des Ethnologische Museums der Staatlichen Museen zu Berlin streben eine solche selbstreflektierende, selbst- sowie machtkritische Praxis unter Einbeziehung dekolonialer Ansätze aktiv an.