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Getting Our Stories Back

Das Projekt „Getting Our Stories Back“ entstand aus dem gemeinsamen Wunsch von Vertreter*innen Indigener communities der Chugach-Region in Alaska und des Ethnologischen Museums in Berlin ihre Zusammenarbeit fortzusetzen, als weiterer Schritt der seit 2015 andauernden Zusammenarbeit. Neben gegenseitigen Besuchen, gemeinsamer Provenienzforschung sowie Auftritten bei internationalen Konferenzen ist nicht zuletzt die Rückgabe von neun Grabbeigaben an die Chugach Alaska Corporation im Jahr 2018 zu nennen. Diese Objekte gehörten zu zahlreichen Kulturgütern aus Alaska, die Johan Adrian Jacobsen Ende des 19. Jahrhunderts im Auftrag des „Königlichen Museums für Völkerkunde“ (heute: Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) nach Berlin gebracht hatte.

Projektziele

  • Erweiterung des digitalen und physischen Zugangs zur Alaska-Sammlung im Ethnologischen Museum in Berlin für Indigene Gemeinschaften aus der Chugach-Region

  • Entwicklung von Modellen für die kollaborative Erforschung von Kulturgütern (cultural belongings): Die Stimmen der Chugach Elders stehen im Fokus der Erzählung.

  • Fortsetzung und Ausbau der langfristigen Beziehungen zwischen den Communities in der Chugach-Region und dem Ethnologischen Museum in Berlin

Im Mittelpunkt des Projekts steht der Wunsch Indigener Partner*innen aus der Chugach-Region (Sugpiaq, Dena’ina, Eyak, Ahtna und Yakutat Tlingit Elders und führenden Personen im Kulturbereich), sich intensiver mit den in der Berliner Sammlung befindlichen cultural belongings aus der Chugach-Region zu beschäftigen und diese ihren communities zugänglich zu machen. Zu diesem Zweck wurden fast 500 Objekte aus dieser Sammlung in die Datenbank der Chugachmiut Heritage Preservation in Alaska integriert. Auch an der Datenbank des Ethnologischen Museums in Berlin wurde gearbeitet, um die Dateninfrastruktur der Sammlung mit den Prinzipien Indigener Datenverwaltung in Einklang zu bringen. In einem kollaborativen Forschungsprozess arbeiten seit Anfang 2021 Elders aus den sieben kommunalen Vertretungen der Region sowie Vertreter*innen aus den Gebieten Spracherwerb und Pädagogik, Kuratieren und community-Organisation mit Mitarbeiter*innen des Museums aus den Bereichen Konservierung und Forschung sowie den wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Freien Universität Berlin mit metaLAB (at) FU Berlin zusammen, um Wissen und Geschichten über die Objekte zu teilen und zu dokumentieren.

Forschungsansätze

Die Forschungsmethodik beinhaltet sowohl digitale Workshops als auch persönliche Besuche der Chugach Elders in den Sammlungen des Museums in Berlin. Die Perspektiven der Indigenen Partner*innen und ihr Verständnis der Kulturgüter als lebendige Akteur*innen stehen im Mittelpunkt dieses Prozesses. Die Ergebnisse und Dokumentationen dieses Prozesses (Audioaufnahmen, Texte, Filme, Fotos) werden mit den jeweiligen cultural belongings verknüpft, die nun in der Chugachmiut-Datenbank gespeichert sind, den lokalen Gemeinschaften zugänglich gemacht und als Grundlage für Indigene Bildungsprojekte dienen.

Die Freie Universität Berlin fungiert mit dem metaLAB (at) FU Berlin als Forschungs- und Digitalisierungspartner, der historische und archivarische Recherchen durchführt und digitale Formate und Werkzeuge für diesen kollaborativen Forschungsprozess entwickelt und testet.

Das Ethnologische Museum in Berlin und die Freie Universität Berlin mit metaLAB (at) FU Berlin definieren ihre Rolle in erster Linie darin, die Indigenen Partner bei der Wiedergewinnung und Wiederbelebung von Wissen und Geschichten um und mit diese(n) Kulturgütern zu unterstützen (und den Umfang dieses Austauschs nach ihren eigenen Indigenen Protokollen zu bestimmen).

Das Projekt trägt den Titel „Getting Our Stories Back“ und ist eine Antwort auf den Verlust von kulturellem Wissen und Eigentum durch Siedlerkolonialismus, Missionierung und Zwangsassimilation, die Indigenes Wissen nicht nur in Alaska als „primitivem“ Wissen erklärten. Vor allem weiße Akteur*innen sammelten die materiellen Kulturgüter der Indigenen Bevölkerung und entzogen somit einen Großteil davon den ursprünglichen Gemeinschaften. Viele dieser cultural belongings landeten in privaten Sammlungen oder in öffentlichen Museen.

Zu dieser Zeit wurde die Erforschung Indigener Kulturgüter in Museen oft auf problematische Weise von rassischen und kulturellen Evolutionstheorien beeinflusst. Die „Ethnologisierung“ Indigener materieller belongings, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nach Kriterien der „westlichen Wissenschaften“ strukturiert und kategorisiert wurde, trug zur Auslöschung Indigenen Wissens bei.

Alle drei Projektpartner*innen, Chugachmiut, das Ethnologische Museum in Berlin und die Freie Universität Berlin mit metaLAB (at) FU Berlin, möchten dieser Geschichte der epistemischen Gewalt im Umgang mit Indigenem Kulturgut ein anderes Modell des Arbeitens entgegensetzen.

Wissensträger*innen als Forschende

In „Getting Our Stories Back“ stehen Elders aus den Chugach communities als Forschende und Wissensträger*innen im Mittelpunkt. Ihre Stimmen sind entscheidend für Beschreibungen und Interpretationen von Objekten, für Empfehlungen zu Bewahrung und Pflege und nicht zuletzt für ethische Dimensionen der Sammlung, die Fragen des Eigentums, der Zugänglichkeit, der Präsentation und der Restitution betreffen.

Dieser Ansatz ist in Indigene Forschungsparadigmen eingebettet. Indigene Forschende haben sich in den letzten Jahrzehnten von dem hegemonialen westlich-akademischen Modell emanzipiert, das Indigene Kulturen zumeist zu „Forschungsobjekten“ machte. Sie haben ihre eigenen differenzierten Forschungsansätze entwickelt, die Wissen als grundlegend relationales Wissen artikulieren und die Rolle der Indigenen Sprachen, die Verantwortung der Forschenden und die Rolle der Gemeinschaft betonen.

Forscher*innen an europäischen Forschungseinrichtungen, wie dem Ethnologischen Museum in Berlin und der Freien Universität Berlin mit metaLAB (at) FU Berlin, werden so herausgefordert, ihre Forschungskulturen und die Frage, wer von der Forschung und ihren Ergebnissen profitiert, kritisch zu hinterfragen.

Projektresultate

„Getting Our Stories Back“ beantwortet darüber hinaus die Frage, wer von Projekten dieser Art profitieren sollte, indem es lokale Institutionen und Strukturen in der Chugach-Region unterstützt. Mit der Integration von Objektdaten aus der in Berlin untergebrachten Sammlung in die Datenbank der Indigenen Organisation Chugachmiut geht die Deutungs- und Datenhoheit in die Hände von Chugachmiut über.

Am Ende des Projekts werden von allen Projektpartner*innen annotierte indigene Protokolle veröffentlicht. Ziel ist es, die durchgeführten Kooperationsformen und die Ansätze, die im Umgang mit dem kulturellen Erbe zum Einsatz kamen, vorzustellen.

Dieses Dokument kann als Leitfaden auch für andere Indigene Gruppen in ihrer Zusammenarbeit mit Museumsinstitutionen dienen und zur Wiederverbindung von Sammlungen und Wissenskulturen beitragen.

Zwischen 1881 und 1883 bereiste der norwegische Seefahrer Johan Adrian Jacobsen im Auftrag des Königlichen Museums für Völkerkunde die Pazifikküste Kanadas und Alaska mit dem Ziel, eine Sammlung aus der Region für das Museum aufzubauen. Während dieser Reisen erwarb Jacobsen neben vielen anderen Artefakten ca. 500 Kulturgüter aus der Chugach-Region, vor allem der Sugpiaq, Dena’ina, Eyak, Ahtna und Yakutat Tlingit communities. Jacobsens umfangreicher Reisebericht ermöglicht es, seine Reiseroute sowie die Mittel, mit denen er Objekte erwarb, nachzuvollziehen. In seinen Aufzeichnungen vermerkte er akribisch die Preise, die er für die Objekte bezahlte, die im Verhältnis zu den Kosten für die Reise- und Transportlogistik sehr niedrig waren. Einige von Jacobsens Methoden zur Beschaffung von Objekten waren kriminell, wie etwa die Plünderung von Grabstätten.

Adolf Bastian, der Gründungsdirektor des heutigen Ethnologischen Museums in Berlin, der Jacobsens Reise an die Nordwestküste in Auftrag gab, war ein Verfechter der sogenannten „Rettungsanthropologie“. Die europäischen Anthropolog*innen des späten 19. Jahrhunderts gingen davon aus, dass sich Indigenen Kulturen entweder den Siedler*innen anpassen oder sogar aussterben würden. Daher wollten sie Archive der materiellen Kultur der verschiedenen Völker in Museen anlegen. Dabei spielten auch Motive wie akademisches Prestige bei der Etablierung der damals noch jungen Disziplin „Anthropologie“ und die Vorstellung von der Überlegenheit der europäischen Zivilisation eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt löste der Wettbewerb zwischen den Museen das Bestreben der Sammler aus, so viele Objekte wie möglich zu sammeln.

Beginn des gemeinsamen Austausches

In den letzten Jahrzehnten standen historische Sammlungen im Mittelpunkt des Interesses einiger Indigener Gruppen bei ihren Bemühungen, ihr kulturelles Erbe zu stärken und wiederzubeleben. Ein Beispiel dafür ist die Chugach Alaska Corporation, die 2015 den Besuch einer Delegation von Elders im Ethnologischen Museum organisierte. Unter ihnen John Johnson, Vizepräsident der Corporation und NAGPRA-Beauftragter, der seit 1975 für die Chugach arbeitet und nach Kulturgütern und Vorfahren forscht, die in verschiedenen Museen weltweit verteilt sind.

Bei diesem ersten Besuch identifizierte die Delegation in der Berliner Sammlung Grabbeigaben, die Jacobsen unrechtmäßig aus Grabstätten entfernt hatte. Daraufhin wurden diese neun Objekte im Jahr 2018 an die Gemeinde zurückgegeben. Die Rückgabe markierte den Beginn einer kontinuierlichen Beziehung zwischen dem Ethnologischen Museum in Berlin, Chugachmiut und der Chugach Alaska Corporation, die unter anderem zu dem aktuellen Projekt „Getting Our Stories Back“ führte.


Projektpartner*innen und Teilnehmer*innen (in alphabetischer Reihenfolge):
Übergreifende Partnerkoordination
: Hauke Zießler / Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin
Chugachmiut / Anchorage, Alaska (Regional Tribal Consortium): Andrea Floersheimer (Archivarin), Mark Hiratsuka (Direktor der Chugachmiut Heritage Preservation), Dawn Randazzo (Archivassistenz)
Chugach Alaska Corporation / Anchorage, Alaska (ANCSA Corporation): John Johnson (Vizepräsident für kulturelle Ressourcen), Tatianna Turner (Koordinatorin für Kulturelle Angelegenheiten)
Chugach-Elders Forscher*innen: Eric Raymond Clock (Qutekcak/Seward), Vince Evans (Nanwalek), Deborah Mcmullen (Paluwik/Port Graham), Brandon Moonin (Taatiillaq/Tatitlek), Pamela Jean Smith (iiyaaG/Cordova), William Smith (Valdez)
Native Village Eyak/Cordova, Alaska: Brooke Mallory (Leiterin CRRC Sonderprojekte), Danaya Hoover (Direktorin für Kulturelle Angelegenheiten), Teal Hansen (Koordinatorin des Kulturzentrums Ilanka)
Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: 
Projektsteuerung:
Ute Marxreiter (Kuratorin für Bildung und Vermittlung) und Monika Zessnik (Kuratorin der Nordamerikanischen Sammlungen),
Julian Bendel (Wissenschaftlicher Assistent in Fortbildung), Tina Brüderlin (Leiterin des Ethnologischen Museums), Mira Dallige-Smith (Diplom-Restauratorin), Sebastian Kolberg (Diplom-Restaurator), Jens Matuschek (Vertretungskurator der Nordamerikanischen Sammlungen, Feb-Sep/2023), Mirko Nikolai (Depotverwalter), Costanza Parigi (Filmemacherin), Alexis von Poser (Stellvertretender Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst), Hauke Zießler (Projektkoordinator für transkulturelle Zusammenarbeit)
Freie Universität Berlin / metaLAB (at) FU Berlin: Kim Albrecht (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt bis Mai 2023), Olivia Al-Slaiman (Studentische wissenschaftliche Assistentin), Lindsey Drury (Postdoktorandin), Annette Jael Lehmann (Professorin für Visuelle Kultur und Theater), Charlotte Hannah Peters (Studentische Mitarbeiterin)
Projekt-Finanzierung: Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
Projektlaufzeit: September 2020 bis 31. Juli 2024