Das Auslegerboot in der Ozeanien-Sammlung des Ethnologischen Museums stammt von der Insel Luf, die 1884–1914 vom Deutschen Reich in Besitz genommen wurde und heute zum Staat Papua-Neuguinea gehört. Solche Boote segelten früher auf dem offenen Meer und konnten für Reisen, Handels- und Kriegsfahrten bis zu 50 Personen aufnehmen.
Durch von Europäern eingeschleppte Krankheiten, durch Überschwemmung und Hungersnot starb ein Großteil der Bevölkerung von Luf. 1881 errichtete die Handelsgesellschaft Hernsheim & Co auf der Insel eine Handelsstation. In dieser Zeit wehrte sich die Bevölkerung gegen die Europäer, die sich auf der Insel niederließen. Auf Betreiben Hernsheims überfiel 1882/83 ein deutsches ‚Strafkommando‘ Luf. Die Soldaten der kaiserlichen Marine zerstörten eine große Anzahl von Häusern und Booten und töteten Bewohner*innen. Mindestens drei Menschen fielen dem Angriff unmittelbar zum Opfer. Die Besetzer plünderten zudem die Dörfer und gaben die gesammelten Gegenstände weiter an das Berliner Museum für Völkerkunde (dem Vorgänger des heutigen Ethnologischen Museums). In den Jahren nach dem Strafkommando starben weitere Menschen, wahrscheinlich sowohl durch den Mangel an Nahrung und Unterkünften als auch an Krankheiten. Der Bevölkerungsrückgang war dramatisch. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten nur noch ca. 70 Personen auf Luf.
Acht Jahre nach dem Überfall der deutschen Kriegsmarine begannen die Männer von Luf ein großes Auslegerboot zu bauen. Der Kaufmann Franz Emil Hellwig berichtet, dass die Bootsbauer in diesem Boot – so entschieden sie 1895 nach fünfjähriger Bauzeit – ihren kurz zuvor verstorbenen Anführer Labenan auf dem offenen Meer bestatten wollten. Sie waren aber zu wenige, um das riesige Boot zu Wasser zu lassen. Die nächsten Jahre blieb es wohl im Bootshaus.
1903 wurde es durch Max Thiel von Hernsheim & Co erworben und an das Berliner Museum für Völkerkunde verkauft. Es gibt keine Dokumente darüber, wie die Firma Hernsheim das Boot erwarb. Laut den europäischen Quellen waren Bug- und Heckverzierung des Bootes bereits zuvor an einen Marineoffizier, den späteren Admiral Gygas in Bremen, gegeben worden – auch hier sind die Erwerbsumstände nicht dokumentiert. Bevor Thiel das Boot abtransportierte, wollte er das Boot ergänzen. Die Männer von Luf schnitzten daraufhin neue Bug- und Heckverzierungen. Als Augustin Krämer 1906 bei einem zehntägigen Aufenthalt auf Luf die Männer nach dem Boot befragte und ihnen Fotos zeigte, traf er noch drei der Bootsbauer an, darunter das Oberhaupt Sini. Krämer erhielt anscheinend bereitwillig Informationen zum Bau und zu den gemalten Motiven. Ihren Angaben zufolge gehörte das Boot, als Thiel es erwarb, dem Oberhaupt Sini. Krämer erwähnt keine Einwände Sinis zum Erwerb des Bootes. Die Frage nach den genauen Erwerbsumständen lässt sich leider nicht eindeutig beantworten. Die Forschungen sind also keineswegs abgeschlossen. Das Ethnologische Museum hat Kontakt mit dem Nationalmuseum von Port Moresby aufgenommen, um die eurozentrischen Fragestellungen und Erkenntnisse vieler bisheriger Forschungen zu ergänzen und im Zuge der weiteren Recherchen und des Austausches auch die Ansichten der Partner in Papua-Neuguinea einbeziehen zu können.
Provenienzforschung mag mit Objekten und Akten beginnen, muss dann aber direkt zu Menschen führen. Martin Maden, ein Filmemacher aus Papua-Neuguinea, hat sich mit Fotos des großen Bootes aus Berlin im Gepäck auf die Suche nach Geschichten begeben, die vor Ort noch an die Geschehnisse vor über 100 Jahren erinnern. Er hat Nachfahren der Bootsbauer gefunden, die ihm eine Botschaft für uns mitgegeben haben.
Literatur