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Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst, Berlin
Im 3. Stock des Humboldt Forums in den Ausstellungen des Ethnologischen Museums befindet sich der Ausstellungsraum „Aspekte des Islam“. Der Islam ist eine Religion mit verschiedene Ausprägungen und Berlin eine Stadt mit einer bunten islamischen Community. Deshalb hat das Ethnologische Museum mit Menschen aus verschiedenen muslimischen Gemeinden kooperiert, damit sie selber den Besuchenden der Ausstellung erzählen, wie sie ihren Glauben täglich leben. Wir haben für diese Folge von „Gegen die Gewohnheit“ mit zwei Vertreterinnen dieser Gemeinden gesprochen, damit sie uns mehr über die Ausstellung, ihre Zusammenarbeit mit dem Museum und dem Humboldt Forum und ihren Glauben erzählen.
Katharina Erben: Gegen die Gewohnheit.
Anna Schäfers: Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst Berlin.
Feride G.-Gençaslan: Die Vitrinen allein sprechen ja nicht für sich und die zwei, drei Sätze können auch gar nicht zum Ausdruck bringen, was für eine Bedeutungsvielfalt hinter dem einen Stück Stoff sich verbirgt.
Seyran Ateş: Wir als Moschee haben nicht DEN Islam dargestellt. Also, das ist der Punkt.
Anna Schäfers: Im 3. Stock des Humboldt Forums in den Ausstellungen des Ethnologischen Museums befindet sich der Ausstellungsraum „Aspekte des Islam“. Weil der Islam als Religion verschiedene Ausprägungen hat und Berlin eine Stadt mit einer bunten islamischen Community ist, haben wir dort mit Menschen aus verschiedenen muslimischen Gemeinden kooperiert, damit sie selber den Besuchenden erzählen, wie sie ihren Glauben täglich leben.
Katharina Erben: Wir haben für die Folge heute mit zwei Vertreterinnen dieser Gemeinden gesprochen, damit sie uns mehr über die Ausstellung, ihre Zusammenarbeit mit dem Museum und dem Humboldt Forum und über ihren Glauben erzählen. Da ist zunächst Seyran Ateş.
Seyran Ateş: Ich habe die Ibn Rushd-Goethe Moschee gegründet, nachdem ich vier Jahre lang bei der Deutschen Islam Konferenz als Mitglied auf dem Plenum war und feststellte, es gibt für liberale Musliminnen und Muslime keinen Ort, an dem sie ihre Spiritualität leben können. Aber auch als Anwältin habe ich sehr viele muslimische Frauen vertreten, die gesagt haben, dass, was sie sich wünschen oder brauchen, das bekommen sie nicht auch als Service, was Eheschließung und -scheidung anbelangt, in den traditionellen Moscheen. Und so habe ich angefangen, mir Gedanken darüber zu machen, warum liberale Muslime – und zu denen zähle ich mich – oder säkulare Muslime keinen eigenen Ort haben und nicht das Bedürfnis haben, einen Ort zu gestalten. Und so kam es, dass ich die Ibn Rushd-Goethe Moschee gegründet habe. Dazu gehöre ich.
Anna Schäfers: Unser zweiter Gast ist Feride Funda Gençaslan, die Vorsitzende des Europäischen Zentrums für Sufismus und interreligiöse Begegnung e. V., das Sufi-Zentrum Rabbaniyya. Wenn Ihr uns seit der ersten Folge zuhört, kennt Ihr Feride schon.
Feride G.-Gençaslan: Zunächst einmal als Gemeindemitglied eines Sufi-Ordens der Ehrenwerten Naqshbandiyya haben wir erstmalig eigentlich weltweit Öffentlichkeitsarbeit gemacht.
Wir wurden angefragt, muslimische Gemeinden zu repräsentieren in einem Modul über die unterschiedlichen Gesichter des Islam oder Stimmen des Islam. Und das Sufi-Zentrum Rabbaniyya repräsentiert sozusagen die mystische Seite des Islam, wie sie in der Geschichte bekannt ist, aber wie sie auch gegenwärtig noch lebt. Und so haben wir die große Freude, zwei Vitrinen im Humboldt Forum auszustellen und zu kuratieren, wo wir auch regelmäßige Veranstaltungen im Humboldt Forum dazu machen.
Katharina Erben: So kam auch Seyran zur Kollaboration.
Seyran Ateş: Wir wurden, nachdem wir 2017 die Moschee eröffnet haben, direkt von der Kuratorin angefragt, noch von der Kuratorin, die vor Melanie Krebs da war. Frau Schindlbeck war so großartig, uns zu fragen. Das war eine große Ehre für uns, dass sie uns gefragt hat, ob wir uns vorstellen können, auch Teil dieser Ausstellung zu sein. Denn es geht darum, abzubilden, welche Pluralität in Berlin abgebildet ist. Also was gibt es an muslimischem Leben und verschiedenen Organisationen in Berlin? Und da wir nun als Moschee existierten, hat sie uns gebeten und gefragt, ob wir uns vorstellen können, Teil dessen zu sein. Und das war selbstverständlich, wie gesagt, eine Ehre für uns. Und deshalb sind wir mit einer Vitrine dort vertreten.
Anna Schäfers: Welche weiteren Angebote werden denn dem Museumspublikum gemacht?
Feride G.-Gençaslan: Wir haben ja als Sufi-Zentrum Rabbaniyya jeden ersten Freitag im Monat Sufi-Abende in der ufaFabrik. Und dann hatten wir die Idee, dass wir das Mevlana-Jahr letztes Jahr zum Gedenken von Mevlana Rumis 750. Todestag eine Reihe bieten, und zwar Erzählungen oder Geschichten aus der „Schatzkammer der Liebe“ von Mevlana Rumi. Das haben wir letztes Jahr einmal im Monat, jeden Samstag zwischen 17:00 und 18:00 Uhr angeboten, und das kam so gut an, dass wir dieses Jahr damit fortfahren und andere berühmte Sufis und ihre Dichtung vorstellen.
Anna Schäfers: Kannst Du ganz kurz noch mal einen Satz sagen dazu, wer Mevlana Rumi ist und wie der für die Sufis wichtig ist?
Feride G.-Gençaslan: Mevlana Dschalāl ad-Dīn Rumi hat im 13. Jahrhundert gelebt, ist persischer Herkunft, ist aber vor allem im damaligen Anatolien, der heutigen Türkei, bekannt geworden mit seiner Mystik und mit seinem Toleranz-Gedanken. „Komm, wer immer Du bist!” ist ein Leitspruch, den wir auf ihn zurückführen. Er ist ein verbindendes Element sowohl im Intrreligiösen im Islam als auch im Interreligiösen.
Seyran Ateş: Das ist übrigens ein Glaubenssatz, den wir in unserer Präambel haben als Moschee-Gemeinde. Also da verbindet uns auch etwas, unsere Liebe zu Rumi. Und aus der Türkei kommend, kenne ich natürlich die Geschichten um Rumi herum oder Mevlana herum aus Konya, vor allem, also die Stadt, die bekannt ist dafür, sehr konservativ zu sein, extrem konservativ, erzkonservativ, so gar nicht das abbildet, wofür unsere Moschee steht. Und dennoch ist es genau derselbe Mystiker, auf den sich viele berufen. Insofern kann man auch sehen, dass der Mystiker Rumi mit seinem Verbündeten Schams gleichzeitig für sowohl sehr liberale als auch für sehr konservative Muslime steht, für Toleranz, und herangezogen wird, um eigene Glaubenssätze auch weiterzutragen.
Katharina Erben: Und welche Angebote macht die Ibn Rushd-Goethe Moschee in der Vermittlungsarbeit?
Seyran Ateş: Das hatte ich ja auch schon angedeutet, dass wir auf Events reagieren, dass zum Beispiel der Späti im Humboldt Forum stattfindet. Dann waren wir dort und haben mit unserer Drag Queen, die damals noch Drag Queen war und jetzt eine Transfrau geworden ist, Berfin jetzt, dass wir mit ihr zusammen eine Veranstaltung gemacht haben, um das Thema Islam und LGBT darzustellen. Also gerade Frauenrechte und LGBT-Themen sind so unsere Hauptthemen. Und so haben wir direkt mit dem Späti dann eine Veranstaltung in der Haupthalle gemacht, wo Derwisch-Tänzerinnen und -Tänzer auch eine Aufführung gemacht haben.
Anna Schäfers: Dieser Späti ist ein wiederkehrendes Format im Humboldt Forum. An ausgewählten Freitagen gibt es ab 17 Uhr Diskussionen, DJs und Drinks im Foyer.
Seyran Ateş: Ansonsten haben wir ganz aktuell ein neues Projekt als Bildungswerk, was mit unserer Moschee zusammenarbeitet oder aus der Moschee herausgegangen ist, und da haben wir ein Demokratie-Mobil. Mit diesem Demokratie-Mobil werden wir mit dem Humboldt Forum die Kooperation demnächst auch öffentlich beginnen und werden Schülerinnen und Schüler zum Humboldt Forum bringen und mit ihnen zusammen sowohl die Ausstellung uns anschauen im Teil des Ethnologischen Museums, also das Thema Islam und Diversity bearbeiten, und gleichzeitig aber auch andere Themen, die im Museum selbst, im Humboldt Forum selbst stattfinden – deshalb als zweites Standbein auch Bildungsarbeit in Richtung der Demokratiebildung – und auch Themen wie Flucht und Heimat aufgreifen. Mit Kindern und Jugendlichen und vor allem eben auch gerne mit Menschen, die eine Fluchterfahrung haben, Geflüchteten, Minderjährigen, unbegleiteten Minderjährigen.
Katharina Erben Also was macht für Dicdas Humboldt Forum interessant als Kooperationspartner?
Seyran Ateş: Es befindet sich mitten im Herz und mitten im Zentrum von Berlin. Als Berlinerin, seit 1969 lebe ich in dieser Stadt und liebe sie. All das, was ich als Gefühl für die Stadt und für diesen Ort habe, das können Jugendliche, meiner Ansicht nach, die das noch nicht so empfinden, dann auch erleben. Es ist wie Erlebnispädagogik, so kann man sich vorstellen: Dass gerade geflüchtete Minderjährige, das war so meine Ursprungsidee, die noch nicht das Gefühl für diese Stadt haben oder überhaupt sich auf der Suche nach Heimat befinden, gerade eine Heimat verloren haben, dass man ihnen an diesem Ort noch mal näher bringen kann: „Versucht doch jetzt, Berlin als die zweite Heimat kennenzulernen.“ Und ich denke, dass das Humboldt Forum ein guter Ort ist, dort auch sich zu entfalten, was das anbelangt. Denn die Vielfalt im Humboldt Forum selbst zeigt einem ja, dass wir durchaus in einer Stadt sind, in der Vielfalt existiert.
Katharina Erben: Schönheit, Entfaltungsmöglichkeit, Erlebnispädagogik. Spielt das für Dicauch eine Rolle?
Feride G.-Gençaslan: Ja, auf jeden Fall. Erlebnispädagogik ist ein wunderschönes Wort, nicht wahr? Und alles Ästhetische wird ja auch im Sufismus repräsentiert. Die Mystik im Islam zeigt genau das in der Poesie, in der Kunst, in der Malerei, in der Architektur. Das sind alles Handwerke von Sufi-Orden, die die Schrift, das Wort sozusagen, in eine visuelle, ästhetische Form gebracht haben und auch die Alltagsgegenstände, die man im Ethnologischen Museum sieht. Und das ist der besondere Reiz am Humboldt Forum, meines Erachtens nach, dass das Ethnologische Museum dort jetzt ist. Wenn wir uns Alltagsgegenstände oder Kulturgüter anschauen, dann erkennen wir immer etwas Verbindendes – sei es bei Besteck, zum Beispiel bei Löffeln. Sie sind vielleicht anders verziert, mit anderen Symbolen, aber die Bedürfnisse, die menschlichen Bedarfe und die Nutzbarkeit sind sich oftmals so ähnlich, dass man, egal auf welchem Kontinent, zu welchem Jahrhundert man gelebt hat, doch immer Mensch war und Mensch ist und wahrscheinlich Mensch bleibt.
Seyran Ateş: Also, um das aufzugreifen, ich teile das absolut, was Sie gesagt haben, dass Kinder und Jugendliche in diesem Forum realisieren können, Mensch sein ist weltweit Mensch sein, und der Mensch hat Bedürfnisse und die Bedürfnisse werden befriedigt, und Menschen haben Ideen. Sie entwickeln etwas, sie brauchen Hilfswerkzeuge. Sie brauchen überhaupt Werkzeuge, Hilfsmittel, um sich Leben zu erleichtern. Und da haben Menschen auf allen Kontinenten verschiedenste Ideen entwickelt und dann kann das passieren, dass man in Alaska genauso wie in Neuseeland ganz ähnliche Dinge produziert werden, wie sie auch mitten in Europa auch wieder zu finden sind. Obwohl diese Menschen sich nie getroffen haben oder sich nie begegnet sind, haben sie vielleicht sogar ziemlich identische Glaubenssätze, was ihr Leben anbelangt.
Katharina Erben: Aber wie stellt man dann jetzt den Islam dar in so einer Vitrine? Wie seid Ihr rangegangen an diese Frage?
Seyran Ateş: Also wir als Moschee haben nicht DEN Islam dargestellt, das ist der Punkt. Also auf keinen Fall haben wir den Anspruch oder stellen wir DEN Islam, der weltweit gilt dar. Sondern die Aufgabe war, und nur das kann ich erfüllen, wir können nur darstellen, was wir als Gemeinde praktizieren. Wir können uns darstellen. Das ist der Auftrag, das ist die Kooperation. Ich würde mich dagegen auch wehren, dass man von mir das verlangt, dass ich allgemeingültige Sätze von mir gebe. Wir haben in unserer Vitrine dargestellt, wie wir unseren Islam, den wir von unseren Eltern, unseren Vorfahren, unseren Verwandten, aber auch aus den verschiedenen Ländern, aus denen wir kommen, wie wir den praktizieren. Und dazu gehört bei uns ganz speziell, dass Männer und Frauen bei uns zusammen beten, dass die LGBT-Community willkommen ist, dass wir aus verschiedensten Ländern kommen und uns vor allem nicht zu einem sunnitischen oder schiitischen oder Sufi-Islam bekennen, sondern bei uns sind sie alle. Aber am Ende treffen wir uns in unserer Moschee als Muslime.
Anna Schäfers: In der Vitrine sind u. a. Bilder aus der Moschee, ein Koran in deutscher Übersetzung und eine Regenbogenfahne zu sehen.
Katharina Erben: Wie ihre Gemeinde die Präsentation in der Ausstellung angegangen ist, hat Feride uns so erklärt.
Feride G.-Gençaslan: In der einen Vitrine haben wir uns für die klassische Ausstellung von Kleidungsstücken entschieden, dass ein Wiedererkennungseffekt da ist, wenn man einen Naqshbandi-Sufi trifft, mit der Kopfbedeckung, dem Mantel, den Hosen, den kuffs, den Lederschühchen, und auch was so ein Sufi in der Tasche, alles hat, nicht wahr? Von Gebetskette über digitalen Zähler heutzutage oder miswak, um die Zähne zu reinigen. Und das spiegelt auf der einen Seite so eine ganz klassische Vitrine des Ethnologischen Museums wider. Auf der anderen Seite hat es den Gegenwartsbezug zu Naqshbandi-Sufi-Gemeinden heute, wie man sie auch in der U-Bahn antreffen kann, vorwiegend aber natürlich an Orten, wo die Gemeinde auch praktiziert. Und man hat die Bezüge, warum die Sufis das mit sich tragen. Eine Gebetskette natürlich, dass man immer die Eigenschaften Gottes rezitiert, und diese Eigenschaften im Menschen selbst, die sich nur im Menschen manifestieren, in eine Harmonie zu bringen, der Liebende zu sein, Vergebende zu sein usw. Die Kleidung mit der Kopfbedeckung erinnert an die Krone des Gläubigen, so wie der Prophet Mohammed, Friede auf ihn, das genannt hat. Und anhand der Kopfbedeckung erkennt man oft auch die Zugehörigkeit. Das sind ganz traditionelle, auch ethnologische Dinge, die wir versucht haben, einmal klassisch darzustellen, aber auch in den eigenen Texten – die Texte haben wir nämlich selbst verfasst – versucht haben, doch besser zu erklären.
In unserer zweiten Vitrine haben wir uns für die Musikinstrumente entschieden, für die Rahmentrommel, die ney-Rohrflöte und die große Gemeinschaftsgebetskette mit 1.000 Perlen, um das Gemeinschaftsgefühl – weil wir treffen uns wöchentlich Donnerstagabend, also sprich, wenn der Freitag beginnt, um unseren Herrn zu lobpreisen. Und das ist etwas sehr Markierendes für den Sufismus, die Gemeinschaft zu pflegen, zusammenzukommen und dann natürlich die Gegenwart Gottes und die Liebe Gottes anzurufen.
Anna Schäfers: Was ist Gottesliebe? Geht’s darin um die Liebe Gottes zum Menschen, um die Liebe Gottes zu sich selber, um die Liebe des Menschen zu Gott – was ist alles Gottesliebe, wenn Du davon sprichst?
Feride G.-Gençaslan: Die deutsche Sprache ist eine sehr spirituelle Sprache. Jetzt neben dem Türkischen, dem Persischen; das Arabische hat noch mal eine andere Positionierung. Aber im Deutschen kann man spirituelle Inhalte so schön zum Ausdruck bringen. Gottesliebe können wir einmal so verstehen, dass es die Liebe zu Gott ist. Meine Gottesliebe ist noch unerfüllt, weil ich täglich danach strebe, ihn noch mehr und mehr zu lieben. Und das ist zugleich auch ein Erkenntnismoment. Dann gibt es die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen, die auch Gottesliebe ist. Und das macht ja die Liebe aus. Es hat einen Sender und einen Empfänger, es braucht beides. Um zu lieben, braucht man den Liebenden und den oder die Geliebte. Und es ist eine Dualität, die in sich aber nach Vereinigung sucht. Und das spiegelt sich in dem deutschen Wort Gottesliebe so schön wider.
Anna Schäfers: Gibt es Menschenliebe, oder wie würdest Du Menschenliebe damit in Verbindung bringen? Spielt die eine Rolle?
Feride G.-Gençaslan: Als gläubige Muslimin weiß ich, dass alles von Gott kommt und alles, was Gott erschaffen hat, in göttlicher oder in Gottesliebe zu finden ist. Deswegen schließt sich nichts aus. Nicht nur die Menschenliebe, sondern auch die Liebe zur Schöpfung im Allgemeinen ist in Gottesliebe enthalten. „Liebe das Geschöpf um des Schöpfers willen“, hat der Prophet gesagt, Friede auf ihn.
Seyran Ateş: Die Menschenliebe oder die Liebe zu sich selbst ist ein ganz, ganz wichtiger Bestandteil dafür, dass man überhaupt Liebe nach außen tragen kann. Also dass man Liebe überhaupt spürt und Eigenliebe, also Selbstliebe, nicht als egoistisches, sondern auch Wertschätzung für sich selbst und aus dem heraus auch eine Verbindung zu Gott da ist. Die Liebe und die Verbindung zwischen Gott – und das ist das Besondere im Islam, für mich jedenfalls, was mich sehr auch an den Islam bindet und mich nicht irgendwie weglaufen lässt – ist, dass wir eine direkte Verbindung als Individuen zu Gott haben, also Gott ist in uns, wir sind in Gott. Also es ist so direkt, dass der Islam eben keine Institution kennt. Das ist etwas, was ich sehr schätze an meiner Religion, dass wir keine Kirchen haben, wie die katholische Kirche oder keine Ordination, keine Institution, die sich das Recht herausnimmt zu bestimmen, wie eben genau diese Liebe auszusehen hat; die mir immer wieder vorschreibt, was ich zu tun habe, damit ich die Liebe zu Gott auch beweise. Sie ist da. Also, ich muss nicht permanent einer Institution das beweise. Insofern ist für mich die Gottesliebe ein Ganzes. Aber in beide Richtungen. Es ist so, dass Gott mich liebt, der liebende, barmherzige Gott. Wir haben insgesamt in den 114 Suren, die sich im Koran befinden, bei 113 den Beginn mit „Bismillah ir-Rahman ir-Rahim“, “im Namen des liebenden, barmherzigen Gottes“. Also es heißt, die Liebe ist da, der liebende Gott. Aber wir sind gleichzeitig auch Liebe. Also das ist das Gottesbild, was das beinhaltet. Ich würde jetzt nicht widersprechen, dass auch die deutsche Sprache eine spirituelle wäre. Ich kann aber aus der türkischen Sprache kommend sagen, dass mein Gefühl für das Wort Liebe, aşk,aus dem Türkischen noch mal eine spirituelle Steigerung hat. Und vielleicht auch deshalb, weil die türkische Sprache keine Artikel hat und keine Pronomen kennt im Sinne, dass wir Geschlechter zuordnen. Da fühle ich mich sehr privilegiert. Auch in meinem Gottesbild fühle ich mich sehr privilegiert, dass Gott für mich niemals ein Geschlecht hat. Ich bin aufgewachsen mit einem Gottesbild, das Gott Gott ist und niemals ein alter Mann mit einem Bart. Ich habe ein Gottesbild und eine Gottesliebe, die null Gender hat, also keine Liebe, die verbunden wird mit einem Patriarchen, nämlich dem Vater, Gott als Vater oder Gott als Mutter. Sondern da spiegelt sich für mich so eine selbstlose Liebe wider, die ich in der deutschen Sprache nur durch lange Sätze und langes Erklären wiedergeben kann. Während ich das im Türkischen mit aşk, also, das ist so groß, und da kriege ich Gänsehaut, allein wenn ich es ausspreche, weil es so groß ist und so schön ist, dass ich das so schwer im Deutschen wiedergeben kann.
Ich glaube, Sie nicken so dabei. Also Sie verstehen, was ich meine mit aşk, mit der Beschreibung.
Feride G.-Gençaslan: Das, was den Worten die Bedeutung gibt, ist wahrscheinlich auch einfach die Semantik. Wir reden natürlich immer in unseren Veranstaltungen und Versammlungen über spirituelle Inhalte. Da die meisten in unseren Versammlungen die deutsche Sprache teilweise besser als ihre Muttersprache verstehen, machen wir das natürlich in Deutsch. Und dann erkennen wir doch, wie einfach und bildhaft die deutsche Sprache sein kann. Im Vergleich zum Englischen zum Beispiel, da wird alles vereinfacht und sehr, sehr niederschwellig, aber zu einfach, dass man die Größe und Komplexität vieler Dinge gar nicht wiedergeben kann. Die Deutschen wurden früher nicht umsonst die Dichter und Denker genannt, weil sie den Worten sehr viel Fülle geben konnten .
Seyran Ateş: Also das kann ich sofort unterschreiben. Nicht umsonst heißt unsere Moschee Ibn Rushd-Goethe Moschee. Das wollte ich damit jetzt auf keinen Fall bezwecken, ich habe es jetzt mehrfach auch gesagt: Ich liebe die deutsche Sprache, und ich arbeite damit, und das ist meine Hauptsprache. Und ich kann sehr differenziert in dieser Sprache mich äußern, mit vielen verschiedenen Worten und Zugängen. Also ganz klar, da schließe ich mich Ihnen absolut an! Nur wenn es dann um Spiritualität geht, und ich diese beiden Sprachen miteinander vergleiche, nur an dieser Stelle, gibt es so einen Punkt und einen Knopf, den ich mit der deutschen Sprache schwer lösen kann. Für mich allein schon die Tatsache, dass ich sagen muss „Gott“ und „er“ und „Herr Gott“, das nimmt so viel Licht von meinem Gefühl. Wenn wir da mit diesen Worten, Attributen spielen wollen, dann ist das tatsächlich, dass da eher so ein Schatten drauf ist, oftmals das auszusprechen.
Katharina Erben: Ihr habt ja alle sehr viele verschiedene, sagen wir mal, Vermittlungsmedien, jetzt auch genannt für Euer Anliegen. Also wir haben die Sprache, dann gibt es natürlich die persönliche Begegnung, dann gibt es ein Raumgefühl, von dem Du eben schon gesprochen hast, in Berlin zu sein, auf eine bestimmte Weise. Dann die Vitrine, die Gegenstände in der Vitrine, die Kleidung und so. Welche Rückmeldung habt Ihr bekommen von den Leuten, die das erleben durften?
Seyran Ateş: Auf unsere Vitrine gibt es sowohl positive als auch sehr negative Reaktionen, das kann ich sehr kurz fassen. Es gibt sehr viele Menschen, die begeistert sind, dass wir die Regenbogenfahne in unserer Vitrine haben, dass Männer und Frauen zusammen beten. Und dann lernen sie uns kennen und melden sich bei uns. Und dann gibt es leider Gottes aktuell sieben Männer, die im Gefängnis sitzen, die zum IS Provinz Khorasan gehören, die aufgrund unserer Zugehörigkeit auch teilweise zur LGBT-Community und dass wir damit so offen umgehen, die Vitrinen nutzen – die haben Videos gemacht – die Vitrinen nutzen, um Hass gegen uns zu schüren. Das heißt, es gibt Menschen, die sind dort reingegangen und haben ein Video gedreht und haben dieses Video über Kanäle verbreitet, sodass es auf YouTube und anderen Social-Media-Kanälen Videos gibt, wo gesagt wird: „Guckt euch das an, das ist im Humboldt Forum, im dritten Stock und da und da, und da findet Ihr das und protestiert dagegen.“ Und es gibt Menschen, die uns aufgrund genau dieser Hassvideos dann auch Morddrohungen schicken. Also das ist die negative Seite. Aber ich schaue sehr viel mehr und gerne auf die positive Seite, dass Menschen sagen: „Das ist doch schön, dass auch die Vielfalt im Ethnologischen Museum abgebildet ist, dass es eben diese verschiedenen Richtungen im Islam gibt. Und danke, dass Ihr den Mut habt, solch eine Vitrine dort auszustellen und dass es Euch gibt.“ Das sind die Reaktionen.
Feride G.-Gençaslan: Wir haben auch – sehr wenige – negative Reaktionen erhalten. Die waren dann eher so kritischer Natur: „Was erzählt eine Frau da?“ Dass eine Frau als Sprecherin über die Religion spricht oder wie auch immer. Das waren aber wirklich vereinzelte Reaktionen. Ganz unterschiedliche Stimmen aus den eigenen Reihen, der Gemeinschaft unserer Gemeinde, aber auch aus vielen anderen muslimischen Gemeinden haben wir sehr schöne Komplimente gehört, dass es etwas sehr Schönes, Tolles ist, dass wir im Humboldt Forum einen Aspekt des Islam mit präsentieren und das auch so offen gestalten und auch Veranstaltungen regelmäßig dazu bieten. Weil die Vitrinen allein sprechen ja nicht für sich und die zwei, drei Sätze können auch gar nicht zum Ausdruck bringen, was für eine Bedeutungsvielfalt hinter dem einen Stück Stoff sich verbirgt. Auf der anderen Seite haben wir Gäste, vorbeilaufende Besucherinnen, die dann sagen: „Ach, das ist ja mal schön. Und das ist wirklich Islam? Und das wussten wir ja gar nicht.“ Das sind auch schöne Reaktionen, weil man einen neutralen Raum hat mitten in der Stadt, wo Menschen einem begegnen können. Jenseits von den ganzen medialen Stigmatisierungen, was Islam denn sein soll oder sei, hat man Menschen, die das tagtäglich praktizieren, fest dran glauben und ganz anders sind, als was die Medien einem zeigen.
Seyran Ateş: Also das ist tatsächlich eine Chance, das wir so auch angesprochen wurden. Und nur so stehe ich da und nur so repräsentiere und präsentiere ich unsere Moschee, dass wir nur ein kleiner Teil sind. So vielfältig ist der Islam, dass gar nicht der Raum reichen würde, alles abzubilden. Deshalb ist das auch nur ein ganz mini-mini kleiner Teil, der da ausgestellt wird. Und wenn diese Message übertragen werden kann, ist schon viel erreicht.
Anna Schäfers: Auf die zukünftige Zusammenarbeit mit den beiden Gemeinden! Eine weitere Vitrine wurde übrigens von der Deutschen Islam Akademie e. V. eingerichtet, die vom sunnitischen Islam berichtet.
Danke fürs Zuhören! Wenn’s Euch gefallen hat, freuen wir uns, wenn Ihr Euren Familien und Freund*innen von uns erzählt, uns abonniert und vielleicht eine Bewertungen dalasst.
Katharina Erben: Das war „Gegen die Gewohnheit. Der Podcast zu neuen Formen der Zusammenarbeit im Ethnologischen Museum und im Museum für Asiatische Kunst.“
Produziert von speak low im Auftrag der Staatlichen Museen zu Berlin.
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