Die fünfte Route setzt sich mit der Frage auseinander, inwieweit die Zuordnung zu einem Geschlecht sich immer aufrechterhalten lässt.
Wandlungen und Mehrdeutigkeiten im Hinblick auf die Geschlechtszugehörigkeit sind als Themen in der Sammlung des Bode-Museums umfassend präsent. Unabhängig davon, ob Kunstwerke christliche oder mythologische Motive aufweisen, bezeugen sie regelmäßig den seit jeher vorhandenen Drang zur Darstellung sämtlicher Spielarten der Liebe.
In den Erzählungen zu den antiken griechischen Göttern, der Mythologie, besaß Aphrodite eine mehrdeutige Persönlichkeit verschiedenen Ursprungs: Als Aphrodite Pandemos, Tochter des Göttervaters Zeus und der Dione, verkörperte sie die körperliche Liebe der sinnlichen Freuden. Für die emotionale Liebe mit Körper und Seele stand sie als Aphrodite Urania, die dem Meeresschaum entstiegen war, den das abgeschnittene Genital des Gottes Uranos verursacht hatte. Innerhalb dieser Doppelnatur waren beide Seiten der Aphrodite gleichrangig. Dass die Aphrodite Urania ohne jegliches Zutun einer Frau, also eingeschlechtlich, entstanden war, griff mit Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895) ein Vorkämpfer der Rechte Homosexueller auf.
Es gab und gibt eine weit zurückreichende Tradition, den Körper der Frau als unrein und sündenbehaftet zu erachten. Wichtige frühchristliche Autoren wie Augustinus (354–430) und Hieronymus (347–420) eröffneten Frauen jedoch einen Ausweg aus diesem vermeintlichen Problem: Durch geistige Standhaftigkeit und Entsagung ihrer Weiblichkeit konnten sie nämlich zumindest eine Art von allegorischem Mannesstatus erlangen. Die Heiligsprechung christlicher Frauen kam der Transformation und Auslöschung ihrer Körper gleich, die ihr Geschlecht gleichsam aufhob und sie gewissermaßen zu „nicht-Frauen“ oder „fast-Männern“ machte.
Dies war der Fall bei der heiligen Wilgefortis (je nach Region und Sprache entspricht sie der heiligen Kümmernis, Uncumber, Liberata oder Librada). Die Geschichte der heiligen Wilgefortis berichtet, dass diese jungfräulich bleiben und ein christliches Leben führen wollte. Um ihrer Zwangsheirat mit einem »Heiden« zu entkommen, bat sie Gott um Hilfe, der ihr einen Bart wachsen ließ (das Beispiel im Bode-Museum zeigt sie jedoch ohne Bart). Daraufhin löste ihr Verlobter nicht nur das Eheversprechen, Wilgefortis wurde außerdem zum Tode am Kreuz verurteilt – ein Martyrium, das eigentlich Männern vorbehalten war
Welchem sozialen Geschlecht sich Aphrodite, Georg, Lucia oder Kümmernis, die alle innerhalb dieser Route im Bode-Museum zu finden sind, zugehörig gefühlt hätten, ist nicht zu beantworten. Ebenso wenig, ob sie sich überhaupt in der herkömmlichen Definition von Männern und Frauen wiederfinden wollten oder konnten. Ihre Geschichten und die darauf basierenden Kunstwerke deuten jedoch auf ein angestammtes Bedürfnis des Menschen hin, die Abwesenheit geschlechtlicher Grenzen wiederzugeben. Mit anderen Worten, die Notwendigkeit zur Darstellung einer Realität, die wenig mit den westlichen sozialen Konventionen zu tun hatte.