Die erste Route spürt der Darstellung des heroischen Soldaten und den Grenzen zwischen männlicher Kühnheit und Bisexualität nach.
Das Ideal des männlichen Soldaten wird zumeist mit dem Bild des heterosexuellen Mannes assoziiert. Andere sexuelle Orientierungen scheinen darin keinen Platz zu finden. Dabei handelt es sich jedoch um ein Klischee der jüngeren Zeit, das im Hinblick auf Darstellungen der klassischen Heroen schnell zu falschen Schlüssen verleiten kann.
In der Antike ging Heldentum Hand in Hand mit Bisexualität. Diese wurde in den Armeen durchaus positiv gesehen, weil sie die emotionalen Bindungen unter den Soldaten festigen und hierdurch Kampfgeist und Moral stärken sollte. Die wichtigsten militärischen Helden der griechischen und römischen Mythologie folgten dementsprechend dieser sexuellen Orientierung. So erklärt es sich auch, dass die Bisexualität einiger männlicher griechisch-römischer Götter zur damaligen Zeit offen kommuniziert wurde. So galt der Kriegsgott Mars in der Antike als das wichtigste Vorbild für Männlichkeit. Üblicherweise wurde er muskulös, in forscher Pose und ausgestattet mit Kriegsattributen wie Speer, Helm oder Schild dargestellt. Häufig symbolisierte ein Verzicht auf Rüstung oder Kleidung noch zusätzlich die Furchtlosigkeit des Gottes. Und trotz seiner (heterosexuellen) Ehe mit der schönsten aller Göttinnen, Venus, hielt es ihn nicht davon ab, zahlreiche Affären mit sterblichen Männern einzugehen.
Intensive Bindungen zwischen Männern verkörperten auch in der mittelalterlichen Gesellschaft ein kraftvolles Ideal, das sowohl im weltlichen wie auch im spirituellen Sinne glorifiziert wurde – allerdings nie mit eindeutiger sexueller Konnotation. Insbesondere die Darstellung christlicher Soldaten bot die Gelegenheit, wenn schon nicht offene Homosexualität so doch zumindest physische Nähe und Zuneigung unter Männern zu zeigen. Im Museum für Byzantinische Kunst im Bode-Museum findet sich beispielsweise eine der bekanntesten Darstellungen der Vierzig Märtyrer von Sebaste. Der Legende zufolge wurden die vierzig Soldaten aufgrund ihres Bekenntnisses zum Christentum dazu verurteilt, unbekleidet eine Nacht auf einem zugefrorenen See zu verbringen. Da man üblicherweise den Augenblick kurz vor dem Erfrieren der Verurteilten illustrierte, bot sich hier die seltene Gelegenheit zur Darstellung einer Gruppe von Männern, die sich umarmten und sich so Wärme und Trost spendeten.
Das Genre des dargestellten Themas bestimmt in keiner Weise die künstlerische Qualität eines Kunstwerks; ebenso wenig die hierzu angestellten objektiven oder subjektiven Interpretationen zum sexuellen Gehalt. Dennoch müssen Geschlechterrollen berücksichtigt werden, wenn diese Kunstwerke über ihre bloße technische Perfektion hinaus als Spiegel einer Gesellschaft und als Werkzeuge für den Zugang zu einem kulturhistorischen Kontext dienen sollen. So stand etwa Bisexualität über lange Zeit nicht der Anerkennung eines Soldaten als Held entgegen. Und sexuelle Mehrdeutigkeit war ein entscheidendes Element für die ikonographische Entwicklung mehrerer religiöser Sujets, die Sie im Bode-Museum entdecken können.