Route 6 – Der Blick des 21. Jahrhunderts: Berlinerinnen entdecken die Kunstwerke im Bode-Museum neu

In der sechsten Route werden die facettenreichen Perspektiven und das inspirierende Wirken von Berlinerinnen des 21. Jahrhunderts vorgestellt.

Bis heute sind die vielfältigen Taten und Erfolge von Frauen in der Gesellschaft und somit auch in den Museen stark unterrepräsentiert. Das Bode-Museum und seine Sammlungen, die eng mit der Stadt Berlin und ihren Einwohner*innen verbunden sind, bilden dabei keine Ausnahme. Mit dieser Route soll ein Beitrag dazu geleistet werden, dies zu ändern.

Starke Geschichten und frische Perspektiven

Seit seiner Eröffnung im Jahr 1904 teilen die Kunstwerke im Bode-Museum mit den Berliner*innen eine gemeinsame Geschichte von Kriegen, Teilung sowie Wiedervereinigung. Und ebenso wie die Bewohner*innen sind sie heute integraler Teil einer offenen, bunten und lebenswerten Stadt. Deren Vielfalt zeigt sich auch in den Geschichten in Berlin lebender Frauen, die eigens für diese Ausstellung interviewt wurden.

Ausgehend von selbst ausgewählten Kunstwerken aus den Sammlungen des Bode-Museums bzw. der Interventionsausstellung „Photovoice“ erzählen neun Frauen aus sehr unterschiedlichen Bereichen und Professionen in Video-Interviews über ihr Leben, ihre Arbeit, ihre Erfahrungen und ihre Entscheidungen. Ihre persönlichen Geschichten eröffnen hierbei zugleich einen frischen und zeitgenössischen Blick auf die jeweiligen Kunstwerke.

Trans-Aktivistin und Offizierin

Anastasia Biefang wurde 1974 in Krefeld geboren und ist seit 1994 als Offizierin in der Bundeswehr tätig. Sie studierte Pädagogik, durchlief verschiedene Führungs- und Stabsverwendungen, absolvierte den Generalstabslehrgang der Bundeswehr und diente als Referentin im Bundesministerium der Verteidigung. 2017 wurde Anastasia Biefang die erste offen transgeschlechtliche Bataillonskommandeurin der deutschen Streitkräfte. Sie lebt in Berlin und arbeitet aktuell als Referatsleiterin im Kommando Cyber- und Informationsraum in Bonn. Während ihrer Dienstzeit war sie zweimal im Einsatz in Afghanistan. Die Aktivistin engagiert sich ehrenamtlich als Stellvertretende Vorsitzende von QueerBw und setzt sich für die Rechte von LGBTIQ* ein. Seit 2020 schreibt sie für das LGBTIQ* Magazin MANNSCHAFT die Kolumne „Die Transperspektive".

Ärztin, Gründerin der Jenny De la Torre Stiftung mit dem Projekt Gesundheitszentrum für Obdachlose"

Jenny De la Torre, Mutter eines Sohnes, wurde 1954 in Nazca, Peru, geboren, wo sie Medizin studierte bis sie 1976 ein Stipendium in der DDR erhielt. Dort setzte sie ihr Medizinstudium fort, absolvierte ihre Facharztausbildung und promovierte. Trotz des großen Wunsches scheiterte eine Rückkehr nach Peru aus bürokratischen Gründen. 1994 begann sie am Berliner Ostbahnhof mit der medizinischen Versorgung von Menschen ohne Zuhause. Diese Patient*innen sowie deren Probleme und Schicksale kennenzulernen, beeindruckten und motivierten Jenny De la Torre, ihnen zu helfen und alles zu versuchen, damit sie ein würdigeres Leben führen können. 2002 konnte sie mit dem Geld des Charity-Preises der „Goldenen Henne" eine Stiftung gründen, die zu genau diesem Zweck dient. Mit Hilfe der Stiftung sowie vieler Spender*innen und Ehrenamtlicher eröffnete Jenny De la Torre 2006 das Gesundheitszentrum für Obdachlose in Berlin. Das Ziel ihrer Arbeit ist es hilfesuchenden Menschen wieder eine Perspektive zu geben und die Möglichkeit, wieder von der Straße wegzukommen.

Gemeinderabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin

Gesa S. Ederberg wurde 1968 in Tübingen geboren. Sie studierte Physik und Judaistik in Tübingen, Bochum, Berlin, New York und Jerusalem. Nach einem Rabbinatsstudium am Schechter Institute in Jerusalem erhielt sie 2002 ihre Smicha (Ordination). Sie arbeitet als Gemeinderabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und ist zuständig für die Synagoge Oranienburger Straße. Zusätzlich ist sie Spiritual Advisor am Zacharias Frankel College, dem Masorti Rabbinerseminar in Potsdam. 2002 gründete sie „Masorti e.V. – Verein zur Förderung der jüdischen Bildung und des jüdischen Lebens" in Berlin. Sie ist Vorstandsmitglied des Vereins, der u. a. Träger von zwei bilingualen Kitas und einer bilingualen Grundschule in Berlin ist. Als Mitinitiatorin ist Gesa S. Ederberg an dem geplanten Drei-Religionen-Kita-Haus in Berlin (Baubeginn 2022) beteiligt. Für ihren Einsatz für Demokratie, ein friedliches Miteinander und für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen, insbesondere in der Religion und im interreligiösen Dialog, wurde sie im Winter 2020 mit der Louise-Schroeder-Medaille ausgezeichnet. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder.

Stellvertretende Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin

Christina Haak studierte Kunstgeschichte in Braunschweig und Münster und promovierte 1999 mit einer Arbeit über das barocke Bildnis in Norddeutschland. Nach dreijähriger wissenschaftlicher Tätigkeit am Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main übernahm sie von 2003 bis 2008 die Leitung der Stabsstelle Projektmanagement bei der Museumslandschaft Hessen Kassel (ehem. Staatliche Museen Kassel). Im Anschluss wechselte sie nach Berlin und wurde Leiterin der Stabsstelle Bau in der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin. Ab 2011 übernahm Christina Haak die Stelle der Stellvertretenden Generaldirektorin der Staatlichen Museen zu Berlin, wo sie von 2017 bis 2019 als Chief Digital Officer mitverantwortlich für die digitale Transformation innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war. Seit Mai 2018 ist sie Vizepräsidentin im Deutschen Museumsbund e.V.

Aufsichtsleiterin im Bode-Museum

Heidi Kasten wurde 1966 in Ost-Berlin geboren und hat einen Sohn. Viele Jahre arbeitete sie als Triebfahrzeugführerin in der Berliner U-Bahn. Anschließend machte sie sich mit einer Charterbootvermietung selbstständig, arbeitete als Bürovorsteherin bei einem großen Versicherungsunternehmen und in einem Büro einer Kfz-Werkstatt. Im Jahr 2018 fing Heidi Kasten als Sicherheitsmitarbeiterin im Bode-Museum an zu arbeiten, seit 2019 ist sie nun als Aufsichtsleiterin für ca. 40 Mitarbeiter*innen verantwortlich.

Krankenschwester beim Frauentreff Olga in der Kurfürstenstraße

Der Frauentreff Olga ist eine Anlauf und Beratungsstelle für drogenkonsumierende Frauen, Trans*Frauen und Sexarbeiter*innen an der Kurfürstenstraße. Grundversorgung wie Wäsche waschen, duschen, schlafen und eine warme Mahlzeit gehört ebenso zu ihrem Angebot wie medizinische Hilfen und muttersprachliche Drogen-, Rechts- sowie Sozialberatung. Hier arbeitet Angelika Müller seit 22 Jahren als Krankenschwester. Mit 15 Jahren hat sie ihre erste Ausbildung als Arzthelferin begonnen und sich gleich nach Abschluss zur examinierten Krankenschwester beim Deutschen Roten Kreuz ausbilden lassen, wo sie mehrere Jahre als Intensivkrankenschwester gearbeitet hat. Nach einem über zehnjährigen Aufenthalt in Griechenland arbeitet sie seitdem beim Frauentreff Olga als Krankenschwester.

Model und Unternehmerin, Speakerin und Autorin

Sara Nuru gewann 2009 als erste Person of Color bei der Fernsehshow „Germany’s Next Topmodel". Kurz nach ihrem ersten Besuch der New Yorker Fashion Week reiste sie in das Heimatland ihrer Eltern, nach Äthiopien, wo sie mit der Armut der Bevölkerung konfrontiert wurde. Diese Erfahrung erweckte den Wunsch sich sozial zu engagieren. Seither unterstützt sie nicht nur mit ihrem eigenen Verein nuruWomen äthiopische Frauen mit Mikrokrediten, sie betreibt auch gemeinsam mit ihrer Schwester Sali Nuru das soziale Unternehmen nuruCoffee. Hier setzen sich die Schwestern vor allem für Frauen ein, da sie in der Wertschöpfungskette immer noch am meisten benachteiligt werden, ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben zu führen. Für ihre Arbeit hat das Bundesministerium für wirtschaftliche  Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die gebürtige Erdingerin 2018 zur Botschafterin für fairen Handel ernannt.

Juniorprofessorin für islamische Theologie

Mira Sievers ist eine muslimische Theologin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ausgebildet wurde sie in Frankfurt am Main und London und promovierte in Frankfurt zur koranischen Schöpfungstheologie. Währenddessen verbrachte sie viel Zeit bei Sprachaufenthalten in Kairo, Istanbul und Beirut. In Berlin beschäftigt sich Mira Sievers nun mit der islamischen Glaubenslehre und der islamischen Ethik.

Choreographin, Tänzerin und Regisseurin

Sasha Waltz studierte Tanz und Choreographie in Amsterdam und New York. Gemeinsam mit Jochen Sandig gründete sie 1993 die Compagnie Sasha Waltz & Guests. Sie ist Mitbegründerin der Sophiensæle (1996) sowie des Radialsystems (2006) in Berlin. Von 2000–2004 war sie Mitglied der Leitung der Schaubühne am Lehniner Platz. In der Spielzeit 2019/20 übernahm Sasha Waltz gemeinsam mit Johannes Öhman die Intendanz des Staatsballetts Berlin. Die Erschließung innovativer, spartenübergreifender Aufführungs- und Kreationsformen ist ein wichtiger Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit, in der sie einen Bogen von international bekannten Tanzstücken über choreographierte Opern bis hin zu forschenden Dialoge-Projekten schlägt. In ihrer choreografischen Arbeit konzentriert Waltz sich aktuell auf die Verdichtung kollaborativer Prozesse, wie die synchrone Entwicklung von Choreografie und Musik. Parallel engagiert sie sich für den Transfer tänzerischen Wissens und den Tanz als Medium der sozialen und gesellschaftspolitischen Verständigung.