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Stellungnahme der Direktorinnen und Direktoren der Staatlichen Museen zu Berlin zu den Strukturempfehlungen des Wissenschaftsrats

07.08.2020

Am 13. Juli 2020 legte der Wissenschaftsrat seine Evaluierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor. Die Direktorinnen und Direktoren der Staatlichen Museen zu Berlin sehen den im Gutachten beschriebenen dringenden Reformbedarf und fordern eine aktive Einbeziehung in den Prozess der Neugestaltung:

Wir melden uns zu Wort!

Wir, die Direktorinnen und Direktoren der Staatlichen Museen zu Berlin, fordern schnelle und wirksame Reformen und wollen unsere Zukunft mitgestalten.

Oft wurden wir in den letzten Wochen gefragt: Hat Sie das Gutachten des Wissenschaftsrates überrascht? Ja, so unsere Antwort, wenn es um die Deutlichkeit der Empfehlungen und die Klarheit der Analyse geht. Nein, wenn man die aufgeführten Fakten zur Auswirkung der vorhandenen Strukturen auf unsere alltägliche Arbeit betrachtet.

Wir sind dankbar, dass der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten durchgängig die Wichtigkeit handlungsfähiger Museen für die Gesellschaft betont und seine Reformvorschläge vor allem aus der Perspektive der Nutzerinnen und Nutzer denkt. Denn um die Stärkung der Museen im Sinne einer Neuaufstellung für die vielen, im Gutachten klug benannten gesellschaftlichen Herausforderungen muss es im nun beginnenden Reformprozess gehen.

Die Gutachter des Wissenschaftsrates beschreiben den Sammlungsbestand und das wissenschaftliche Potential der Museen und Institute durchgängig als hervorragend und in vielen Bereichen als „von Weltrang“. Sie betonen zugleich die hohe inhaltliche Kompetenz, die Motivation und das große Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie stellen jedoch mehrfach fest, dass die finanziellen Mittel für Forschung und Ausstellung deutlich zu gering sind. Auch die personelle Ausstattung entspricht den heutigen Anforderungen in keiner Weise.

Diese Aussagen gehören an den Anfang jeder Reformdebatte. Über den Namen einer Stiftung kann man auch zu einer späteren Zeit diskutieren. Über die immer größer werdende Lücke zwischen den von der Gesellschaft an die Gesamtheit der Museen und Institute gerichteten Ansprüchen und den tatsächlichen Möglichkeiten muss jetzt gesprochen werden. Die finanzielle Decke ist so dünn, dass keine langfristige Planung möglich ist. Mit dem Wegfall großer Teile der Einnahmen im Pandemiejahr 2020 wird dies besonders deutlich. Wenn in den nächsten Jahren große Ausstellungen auf internationalem Niveau realisiert werden sollen, dann muss der Bund in Verbindung mit dem Land Berlin jetzt die Voraussetzungen schaffen, sonst werden die Auswirkungen über lange Zeit beträchtlich sein. Die Coronakrise legt die Schwächen des Systems schonungslos offen.

Das Gutachten empfiehlt den Staatlichen Museen zu Berlin eine „Neuordnung ihrer inneren Organisation und Prozesse zu einer Ermöglichungsstruktur für die Umsetzung moderner Ausstellungen, für eine intensive Interaktion zwischen den einzelnen Sammlungen sowie mit Publika, für kooperative und international vernetzte Forschung sowie die umfassenden Aufgaben der digitalen Transformation“. Genau eine solche Ermöglichungsstruktur wünschen wir uns dringend. Dies ist tatsächlich der Kern des Problems. Wenn die Gutachter zu dem Eindruck kommen, dass eine Tendenz zur Zentralisierung und Konzentration von Aufgaben ineffiziente Strukturen, überkomplexe Prozesse und Kommunikationsprobleme erzeugt hat, dann geben sie damit alltägliche Erfahrungen aus dem Bereich der Museen wieder. Die langwierigen und intransparenten Prozesse in einer tiefgestaffelten Hierarchie verhindern ein schnelles Eingehen auf aktuelle Fragestellungen und Wünsche des Publikums oder die Initialisierung neuer Forschungsvorhaben. Ein Weniger an Strukturen führt hier eindeutig zu einem Mehr an Handlungsfähigkeit. Das wäre dann auch mit einem Mehr an Verantwortlichkeit verbunden.

Das schöne Wort von der „Ermöglichungsstruktur“ steht für ein radikales Umdenken, das auch uns vieles abverlangen wird. Auch wir können dann stärker als Ermöglicher für die verschiedensten Wünsche unserer Besucherinnen und Besucher agieren. Besonders viel wird dann möglich, wenn – wie die Gutachterinnen und Gutachter des Wissenschaftsrates ausdrücklich fordern – die Leitungen der Museen und Institute die erforderlichen Planungs-, Handlungs- und Steuerungsspielräume haben. Genau diese fehlen jetzt nahezu vollständig.

Das Statut der Staatlichen Museen zu Berlin gibt den Direktorinnen und Direktoren zwar eine weitgehende inhaltliche Autonomie, die zur Ausübung fachlich-inhaltlicher Gestaltungsspielräume notwendigen frei verfügbaren Mittel und die damit verbundene Entscheidungskompetenz gibt es jedoch nicht. Ähnliches gilt für alle Fragen im Zusammenhang mit der Personalplanung. Es gibt sicher keine vergleichbare Einrichtung, in der die Spielräume für die inhaltlich Verantwortlichen so begrenzt sind wie bei den Staatlichen Museen zu Berlin. Eine solche Situation erschwert die Eigeninitiative, bremst Aktivitäten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und lähmt auf Dauer. Die Zielrichtung des Gutachtens, Hierarchien abzuflachen und Entscheidungen näher an die Handlungsebene zu verlagern, unterstützen wir Direktorinnen und Direktoren deshalb energisch.

Wir wollen engagiert und ohne Tabus an der Entwicklung einer neuen Organisationsform mitwirken. Wir wissen, dass sowohl die Dachstrukturen als auch die Zusammenarbeit der Museen untereinander in diesem Prozess grundlegend neu gedacht werden müssen. Ausgangspunkt ist die Frage, was an welcher Stelle sinnvoll unter effektiver Nutzung der auch auf Dauer beschränkten Ressourcen geplant, entschieden und umgesetzt werden kann. Wir sind offen für neue Strukturen, die sich z. B. an inhaltlichen oder standortbezogenen Clustern orientieren. Ebenso sind wir bereit, für die Gesamtheit der Staatlichen Museen zu Berlin im Sinne kollegialer Führungsstrukturen Verantwortung zu übernehmen. Im Gutachten des Wissenschaftsrates wird eine professionell begleitete Organisationsentwicklung vorgeschlagen. Diese halten wir für dringend notwendig.

Erst am Ende steht für uns die Frage, welche Dachstruktur und welche Dachmarke neu entstehen oder beibehalten werden soll. Es gibt zweifellos gerade im Bereich der Forschung wichtige und in den letzten Jahren weiterentwickelte Kooperationen mit den anderen Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wir auch in Zukunft weiterentwickeln wollen.

Im Vordergrund steht für uns jedoch die Einheit der Staatlichen Museen zu Berlin. Keine andere Organisation vereint so bedeutende und inhaltlich so vielfältige Museen und Institute unter einem Dach. Wo sonst kann die Archäologie noch auf die Moderne Kunst wirken oder die Kunst aus Asien der europäischen Skulptur begegnen? Immer stärker werden gerade epochen-, sparten- und regionale Räume übergreifende Fragestellungen sowohl für Forschungen als auch für Ausstellungen relevant. Die Potentiale unserer Sammlungen sind noch längst nicht ausgeschöpft.

An den nun beginnenden Reformprozess richten wir folgende Erwartungen:

Die Direktorinnen und Direktoren der Museen und Institute wissen sehr wohl, wo die Veränderungen notwendig sind. Aus der langjährigen Praxis heraus gibt es konkrete Ideen und Vorstellungen für neue Strukturen. Daher wollen wir, um die es im Gutachten vorrangig geht, aktiv in den Reformprozess mit Sitz und Stimme einbezogen werden. Wir brauchen keine Gruppe, die ohne uns und über unsere Köpfe hinweg darüber berät, wie die Lage der Staatlichen Museen zu Berlin zu verbessern ist. Wir sind uns sicher, dass wir im Dialog mit der Öffentlichkeit, der Politik und erfahrenen Partnern zu tragfähigen Lösungen kommen.

Eine Strukturreform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und darauf weisen schon die vielen öffentlichen Äußerungen von verschiedenen beteiligten Interessenträgern hin, ist ein langwieriger Vorgang, der trotzdem alle Mühen lohnt. Der festgestellte dringende Reformbedarf verlangt aber schon jetzt kurzfristig Schritte zur Verbesserung. Dies beginnt bei der aktuellen Finanzsituation. Wir fordern einen verlässlichen Planungsrahmen für die nächsten Jahre, ansonsten leiden zunächst die so gewünschten internationalen Kooperationen und ganz besonders unser Publikum.

Die Gemeinschaft der Staatlichen Museen zu Berlin verdient jeden Einsatz, um nun, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung, für die Zukunft neu aufgestellt zu werden.

Prof. Dr. Julien Chapuis, stellv. Direktor der Gemäldegalerie, der Skulpturensammlung und des Museums für Byzantinische Kunst

Dr. Jonathan Fine, Leiter des Ethnologischen Museums

Raffael Gadebusch, Leiter des Museums für Asiatische Kunst

Prof. Dr. Barbara Helwing, Direktorin des Vorderasiatischen Museums

Dr. Joachim Jäger, stellv. Direktor der Nationalgalerie

Prof. Dr. Lars-Christian Koch, Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst

Dr. Dagmar Korbacher, Direktorin des Kupferstichkabinetts

Dr. Alexis von Poser, stellv. Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst

Dr. Patricia Rahemipour, Direktorin des Instituts für Museumsforschung

Prof. Dr. Andreas Scholl, Direktor der Antikensammlung

Prof. Dr. Friederike Seyfried, Direktorin des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung

Prof. Dr. Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors

Prof. Dr. Elisabeth Tietmeyer, Direktorin des Museums Europäischer Kulturen

Prof. Dr. Sabine Thümmler, Direktorin des Kunstgewerbemuseums

Prof. Dr. Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst

Prof. Dr. Bernhard Weisser, Direktor des Münzkabinetts

Prof. Dr. Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte

Dr. Petra Winter, Direktorin des Zentralarchivs und Leiterin der Provenienzforschung

Prof. Dr. Moritz Wullen, Direktor der Kunstbibliothek