„In der starrfeierlichen und sonst so einsamen Säulenhalle des Ägyptischen Museums zu Berlin drängen sich Scharen von Neugierigen. [...] Das Flügelgeschwirr der Sensation weht zwischen den Papyruskapitälen der bunten Tempelhalle […]; es sind wahrhaftig Kunstwerke und Kuriositäten von beispiellosem Reiz zutage gefördert.“ berichtete am 13. November 1913 die Wochenschrift „Der Roland von Berlin“ zur Eröffnung der großen Amarna-Ausstellung im Neuen Museum.
Erstmals wurden hier die Funde aus den Amarna-Grabungen von 1911-13 gezeigt. – Dabei wurden nicht nur die Objekte, die durch die Fundteilung der Deutschen Orientgesellschaft zugesprochen worden waren, präsentiert. Auch zahlreiche Skulpturen, die danach ihren Platz im Ägyptischen Museum in Kairo finden sollten, wurden in der Ausstellung erstmals öffentlich gezeigt. Die bunte Büste der Nofretete wurde zwar noch nicht präsentiert, doch schmälerte dies nicht die Begeisterung der Besucher*innen für diese neuartige ägyptische Kunst, die einem größeren Publikum noch unbekannt war.
Bislang hatten ägyptische Skulpturen aufgrund ihrer Schlichtheit in Bewegung und Ausdruck hinter den klassischen Werken Griechenland und Roms zurückgestanden. Die Werke der Amarna-Zeit zeigten dagegen einen expressiven Ausdruck, der gerade in der künstlerischen Umbruchzeit des frühen 20. Jahrhunderts von Künstler*innen aller Gattungen fasziniert aufgenommen wurde.
Insbesondere Amenophis IV./Echnaton stand im Rampenlicht. Der Pharao wurde sowohl von Kunstkritiker*innen, als auch bildenden und dichtenden Künstler*innen wie Else Lasker-Schüler und Rainer Maria Rilke bewundert und in ihren Werken verarbeitet. Am bekanntesten sind wohl Thomas Manns Beschreibungen der königlichen Familie am Hof von Amarna in den letzten beiden Bänden seiner Tetralogie „Joseph und seine Brüder“. Ihnen lagen Bildnisse im Berliner Ägyptischen Museum zugrunde. Manns Beschreibung der Nofretete geht allerdings nicht auf die bunte Büste, sondern auf die kleine Stand-Schreitfigur der Königin zurück.
Standfigur der Nofretete, Ägypten, Tell el-Amarna, Neues Reich, 18. Dynastie, um 1351–1334 v. Chr., Ident.-Nr. ÄM 21263, Schenkung von James Simon, Foto aus den 1920er-Jahren © bpk / Staaliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek, Photothek Willy Römer / Willy Römer
Die Amarna-Skulpturen machten die ägyptische Kunst salonfähig. Sie trafen den Zeitgeist. Man fühlte sich ihnen verbunden, wie auch in den „Berliner Neuesten Nachrichten“ vom 15. Dezember 1913 zu lesen ist:
Es mehren sich die Anzeichen, daß uns eine entschiedenere geistige Kontinuität mit Ägypten verbindet, als man früher annahm. In der bildenden Kunst, besonders in der Plastik der Gegenwart weist vieles immer wieder auf das Vorbild und den Einfluß der uralten ägyptischen Kunst zurück.
Ludwig Borchardt, der Leiter der Grabungen von 1911-13, hatte die Büste zwar bereits 1913 im Profil publiziert, aber zunächst von der Präsentation im Museum ausgeschlossen. In der Neupräsentation der Amarna-Sammlung im umgebauten Griechischen Hof bekam 1924 auch die bunte Büste der Nofretete einen dauerhaften Platz. Beim breiten Publikum avancierte sie aufgrund ihrer Farbigkeit, ihres faltenfreien Gesichts und der markanten Lippen zum Idol weiblicher Schönheit im Stil einer Greta Garbo.
Kopien der Büste, die auf Basis einer von der Künstlerin Tina Haim-Wentscher gefertigten werkgetreuen Nachbildung hergestellt wurden, waren sehr beliebt und verkauften sich gut. Die durch die Amarna-Ausstellung ausgelöste neue Ägyptenbegeisterung führte auch dazu, dass Nofretete und ihr Gemahl Echnaton als Werbeträger für Bier, Zigaretten, Tee und Kaffee vermarktet wurden.
Die Reaktionen der Fachwelt und auch der Künstler*innen auf die bunte Büste blieben dagegen verhalten – verglichen mit der Begeisterung, auf die die Präsentation der Amarna-Kunst im Jahr 1913 und insbesondere die Darstellungen des Echnaton gestoßen waren. Daher wurden die Angebote Ägyptens Ende der 1920er Jahre für einen Austausch der Büste gegen hochrangige Kunstwerke aus dem Ägyptischen Museum Kairo von der Fachwelt durchaus positiv aufgenommen. Die Beliebtheit der Nofretete-Büste beim Publikum, führte jedoch zu der Entscheidung, sie in Berlin zu belassen.
Baronin Nadine Üxküll als Königin Nofretete auf einem Berliner Ballfest“ (rechts), Berliner Illustrirte Zeitung vom 20. April 1930, © Ägyptisches Museum und Papyrussammlung, Archiv
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges führte zur Schließung aller Museen auf der Museumsinsel, die bunte Büste war erneut für fast ein Jahrzehnt nicht für das Publikum sichtbar. Nach verschiedenen Auslagerungsorten kam sie – zusammen mit zahlreichen weiteren geretteten hochrangigen Kunstwerken – nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Wiesbaden in den zentralen Collecting Point der amerikanischen Besatzung.
Dort wurde 1946 eine kleine Ausstellung dieser Werke inszeniert, die von 200.000 begeisterten Besucher*innen besichtigt wurde. Die Büste der Nofretete war einer der Stars der Präsentation. Sie hatte nichts von ihrer Ausstrahlung und Attraktivität verloren. Ihre strenge Schönheit mit dem fast melancholisch wirkenden Blick passte wieder in das Kunstempfinden der Zeit. Zudem wurde sie im zerbombten Berlin als ein Sinnbild für makellose Schönheit und Unversehrtheit wahrgenommen.
Eine Museumsbesucherin vor der Büste der Nofretete im Landesmuseum Wiesbaden, 1948 © bpk / Hanns Hubmann
Nachdem sie 1956 ins geteilte Berlin zunächst nach Dahlem, dann nach Charlottenburg zurückgekehrt war, avancierte Nofretete zur Symbolfigur des Ägyptischen Museums in Westberlin, dessen Bestände weit geringer waren als die des östlichen Teils der Sammlung.
Auch im 21. Jahrhundert ist die Faszination, die die Büste der Nofretete ausübt, ungebrochen. Ihre zeitlose Schönheit und einzigartige Aura ziehen nicht nur Millionen von Museumsbesucher*innen in den Bann. Auch jenseits der Erfahrung des Originals hat sich das Bildnis – vergleichbar mit Botticellis Venus oder Leonardos Mona Lisa – als globale Ikone längst verselbständigt.
2013 inspirierte Nofretete Visagisten wie Michael Latus und Martin Schmid: Die für eine Fotostrecke des Magazins der Süddeutschen Zeitung geschminkten Repliken stehen noch heute in der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin © SPK / photothek.net / Thomas Koehler
Sowohl die beeindruckende Präsentation der Büste im Nordkuppelsaal des Neuen Museums als auch ihre ständige und vielfältige Präsenz im Internet haben ihren Bekanntheitsgrad in den letzten beiden Jahrzehnten merklich gesteigert. Zeitgenössische Künstler*innen wie Candida Höfer, Hans-Peter Feldmann oder Isa Genzken haben sich mit der Raumsituation im Nordkuppelsaal und mit dem von der Büste verkörperten Schönheitsideal auseinander gesetzt.
Nofretete ist spätestens mit Rückkehr ins Neue Museum zu einem Symboldbild Berlins geworden. Das zeigte beispielsweise die Kampagne „Das ist Berlin“ der Berliner Morgenpost von 2010, die ein Foto der Nofretete mit dem Claim „Berlin ist, wenn die schönste Bewohnerin Migrationshintergrund hat" versah. Einige Jahre später setzte der Friedrichstadtpalast Nofretete in seiner Berlin-Revue „The Wyld“ sogar intergalaktisch in Szene. Und das im selben Jahr erschienene „Micky-Maus“-Heft führte die Entenhausener auf ihrer Europareise auch nach Berlin, wo Micky die stürzende Büste retten kann, nachdem das Schwarze Phantom sie bei seiner Flucht vom Sockel gestoßen hat.
Gastauftritt der Nofretete-Büste im Micky Maus Magazin 32/33, 2016 © Disney / Egmont Ehapa
Allein schon die Verwendung der markanten Silhouette und der blauen Krone reicht aus, um auch weltweit als Nofretete-Zitat verstanden zu werden. So trat beispielsweise die Sängerin Beyonce 2018 als erste schwarze Frau beim kalifornischen Coachella-Festival als Headliner auf und nutzte dabei unter anderem die bekannte Büste als visuelle Anspielung auf den ägyptischen Kulturkreis. In den folgenden Wochen wurde die Performance in Presse und Sozialen Medien tausendfach gedeutet und kontrovers diskutiert. Sie wurde einerseits als kraftvolles politisches Statement für einen schwarzen Feminismus gelobt, andererseits als rein ästhetisch motivierte und damit letztlich ausbeuterische „Cultural Appropriation“ kritisiert. Ägyptische Kultur, so der nicht zum ersten Mal geäußerte Vorwurf, werde durch modische Zitate zum reinen Accessoire.
Die Grenzen zwischen künstlerischer Auseinandersetzung und kommerziellen Interessen scheinen fließend. Und tatsächlich sind die weltweiten Verwendungen von Nofretete als Motiv für Produkte aller Art, von bemalten Minibüsten über Kosmetik-Artikel und Schmuck bis zum USB-Stick, nicht zu zählen. Nicht jede Adaption des ikonischen Bildnisses muss man stilsicher, nicht jede Form der Rezeption angemessen respektvoll finden – doch die Vielfalt der Aneignungen und die Transformation der Büste vom archäologischen Objekt zum popkulturellen Phänomen zeugen von ihrer universellen Bedeutung. Auch unabhängig von all diesen Rezeptionsgeschichten spricht die Büste der Nofretete für sich. Sie ist Welterbe.
Motiv der Kampagne „20 Jahre Welterbe“ der Staatlichen Museen zu Berlin und der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, 2020 © Staatliche Museen zu Berlin