„Lebensgroße bemalte Büste der Königin, 47 cm hoch. Mit der gerade abgeschnittenen blauen Perücke, die auf halber Höhe noch ein umgelegtes Band hat. Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend. Beschreiben nützt nichts, ansehen. Pendant zu der Büste des Königs von S. 39. Nur die Ohren u. etwas von der r. Seite der Perücke bestoßen.“
Dieses Zitat aus dem Grabungstagebuch von 1912 ist die erste uns bekannte Beschreibung der Büste der Nofretete. Es stammt von Ludwig Borchardt, dem Leiter der damaligen Grabung in Tell el-Amarna, und wird vor allem wegen des prägnanten Passus: „Beschreiben nützt nichts, ansehen“ häufig zitiert.
Obwohl Borchardt zurecht betonte, dass man die Schönheit der Büste nur durch eigene Betrachtung erfahren kann, nahm er doch selbst im Jahr 1923 – elf Jahre nach dem Fund – in der ersten ausführlichen Publikation eine Beschreibung vor, die man auch aus heutiger Sicht als maßgeblich bezeichnen kann. Borchardt wiederholt hier zunächst seinen später berühmt gewordenen Tagebucheintrag „beschreiben nützt nichts, ansehen!“, um dann fortzufahren:
Heute möchte ich dasselbe wieder schreiben, da ich überzeugt bin, dass meine Worte den Eindruck dieses Kunstwerks nicht wiedergeben können, und dass selbst die farbige Wiedergabe […] nicht die Lebendigkeit und Zartheit des Originals verdeutlicht, sondern sie nur ahnen lässt. […]
Die Erhaltung ist eine wunderbare gute. An der Perücke ist der sich aufrichtende Teil der Königsschlange abgeschlagen, rechts und links hinten sind am oberen scharfen Rande zwei Stückchen herausgeschlagen, an der linken Seite eine größere Scheibe des Gipsüberzuges abgesplittert; beide Ohren sind bestoßen, am rechten einige Bruchstücke jetzt wieder angefügt. Die Einlage des linken Auges fehlt; da aber keine Spur eines Bindemittels in der Augenhöhle nachweisbar, auch der Hintergrund glatt und nicht etwa zur Aufnahme der Einlage noch irgendwie ausgetieft ist, so ist es sicher, dass das linke Auge nie mit einer Einlage gefüllt war. Auf der rechten Schulter auch noch eine kleine Absplitterung; außerdem hin und wieder kaum merkliche Kratzer im Gesicht, an der Nase usw. An verschiedenen Stellen Spuren heruntergelaufener unreiner Feuchtigkeit, vermutlich von Regenwasser, das verunreinigt durch das bereits undichte Dach ablief und die noch auf ihrem Bord stehende Büste traf. […]
Die Muskeln des Nackens und die Halsseiten sind so fein wiedergegeben, dass man sie unter der zarten, im gesunden Fleischton gehaltenen Haut spielen zu sehen glaubt.
Die ägyptischen Bildhauer haben so gut wie nie den Versuch gemacht, in den Gesichtern ihrer Kunstwerke irgendeine Gemütsbewegung […] zum Ausdruck zu bringen, dieses Gesicht aber ist der Inbegriff von Ruhe und Ebenmaß. Von vorn gesehen zeigt es völlige Spiegelgleichheit, und trotzdem wird der Beschauer nie im Zweifel sein, dass er hier nicht irgendeine konstruierte Idealbüste, sondern das stilisierte, aber trotzdem durchaus ähnliche Abbild einer ganz bestimmten Person von scharf geprägtem Äußeren vor sich hat.
Auch die weiteren Beschreibungen der Details von Mund, Nase und Augen der Königin offenbaren Borchardts Begeisterung für die Schönheit der Büste in lebendigen Worten.
Selbst wenn aus heutiger Sicht Borchardts Rekonstruktion der Modellkammer und auch die Funktion der Büsten neu diskutiert werden können, ist sein abschließender Kommentar zur Büste bis heute nachvollziehbar: „jedenfalls ist das fertige und bunte Porträt das feinste und durchgearbeitetste, das ich kenne.“
Büste der Nofretete, Ägypten, Tell el-Amarna, Neues Reich, 18. Dynastie, um 1351–1334 v. Chr., H.: 49 cm; Br.: 24,5 cm T.: 35,0 cm; Material: Kalkstein, bemalter Stuck, Bergkristall, Wachs; Inv.-Nr. ÄM 23100; Funddatum: 6.12.1912; Haus P 47.2; Raum 19, Schenkung von James Simon © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Der Kern der Büste besteht aus Kalkstein, über den eine unterschiedlich dicke Gipsschicht zur endgültigen Modellierung aufgetragen wurde. Die Konsistenz des Kalksteins sowie die Dicke und der schichtweise Auftrag des Gipses konnten bei computertomographischen Aufnahmen in Zusammenarbeit mit dem Imaging-Science-Institut-Charité – Siemens im Jahr 2006 dokumentiert werden. Damit wurden frühere Aufnahmen des Jahres 1992 am Virchow-Klinikum der Charité um einige Details ergänzt.
Was die Büste in ihrer Wirkung so besonders macht, ist jedoch vor allem ihre Farbigkeit, die in diesem Erhaltungszustand einzigartig ist und die dem Bildnis seine unvergleichliche Lebendigkeit verleiht. Ohne die Bemalung und die Augeneinlage würde die Büste zwar immer noch als handwerkliches Meisterwerk gelten, aber eine vollkommen andere Wirkung erzielen.
Die für die Bemalung benutzten Farben entsprechen dem bekannten Spektrum altägyptischer natürlicher Pigmente wie rotem Ocker, gelbem Auripigment, grüner Fritte, schwarzem Kohlenstoff sowie dem künstlich hergestellten „ägyptisch Blau“ und verschiedenen Abtönungen, unter anderem für den Teint der Königin. Die Vielschichtigkeit des Farbauftrages wurde bei berührungsfreien Untersuchungen, die das Rathgen-Forschungslabor der Staatlichen Museen zu Berlin im Jahr 2009 durchführte, auf das Genaueste dokumentiert.
Büste der Nofretete (Detail) © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Alle Untersuchungen unterstreichen die absolute Präzisionsarbeit der altägyptischen Künstler: angefangen bei der nahezu perfekten Symmetrie des Gesichtsaufbaus bis hin zu den haarfeinen, kreuzweise aufgetragen einzelnen Härchen der Augenbrauen. Allerdings ist auch feststellbar, dass die größtmögliche Perfektion dem Gesicht galt, während der Halskragen weitaus oberflächlicher bemalt wurde.
Iris und Pupille des rechten Auges wurden aus schwarz eingefärbtem Bienenwachs gefertigt, das von einem dünn geschliffenen Bergkristall als Hornhaut bedeckt ist.
Büste der Nofretete (Detail) © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Bereits unmittelbar nach Auffindung der Büste am 6. Dezember 1912 ließ Ludwig Borchardt nach der fehlenden linken Augeneinlage suchen. Er bemerkt dazu in seiner Erstpublikation von 1923:
[…] und im linken Auge fehlte die Einlage. Der Schutt, auch der schon herausgeschaffte, wurde sogleich durchsucht, zum Teil gesiebt. Es fanden sich noch einige Bruchstücke der Ohren, die Augeneinlage nicht. Erst sehr viel später sah ich, dass sie nie vorhanden gewesen ist.
Gerade diese letzte Bemerkung wird in ihrer Absolutheit heute kritisch hinterfragt. Allerdings darf man davon ausgehen, dass die Augeneinlage – falls sie je existiert haben sollte – bei der Entdeckung nicht (mehr) vorhanden war, ebenso wenig wie die Blattgoldauflagen der im gleichen Raum gefundenen Büste des Echnaton und seine fehlende Uräusschlange.
Die genannten Untersuchungen des Rathgen-Forschungslabors und die computertomographischen Untersuchungen haben gezeigt, dass die Büste äußerst empfindlich ist: Es gibt Lufteinschlüsse zwischen dem Kalksteinkern und der Gipsauflage, die als höchst kritische Stellen kartiert wurden. Außerdem sind Teile der farblichen Fassung äußerst fragil.
Darüber hinaus ist die Bergkristalleinlage als äußerst sensibel zu bewerten. Nach kuratorisch-konservatorischen Gesichtspunkten ist die Büste – wie viele andere Objekte des Museumsbestandes auch – daher inzwischen als „nicht transportfähig“ klassifiziert.
Während wir der Gattung der Büste seit der klassischen Antike und der frühen Neuzeit häufig begegnen, trat sie im Alten Ägypten kaum in Erscheinung. Ein Grund mag darin liegen, dass eine Büste den Körper „beschnitten“ und nicht in seiner Vollständigkeit wiedergibt – es handelt sich um ein dreidimensionales Bild einer Person, das meist in der Mitte des Oberkörpers endet. Vollständigkeit und Unversehrtheit waren im Alten Ägypten jedoch unendlich wichtig.
Dennoch gibt es eine kleine Anzahl von Skulpturen, die man als Büsten bezeichnen kann, vor allem im Bereich der Ahnenverehrung. Abgesehen von wenigen Belegen aus dem Alten Reich (um 2570 – 2400 v. Chr.) treten Büsten relativ häufig seit der Amarna-Zeit bis zum Ende des Neuen Reiches (um 1350 – 1100 v. Chr.) auf. Die meisten Exemplare sind der privaten Ahnenverehrung im häuslichen Bereich oder im Grabkontext zuzuordnen und erinnern daher häufig an das Oberteil eines menschengestaltigen Sarges oder an ägyptische Totenmasken.
Zu den wenigen bekannten königlichen Exemplaren gehört auch die Büste der Nofretete, die – wie schon der Ausgräber Ludwig Borchardt richtig bemerkte – nicht ohne das Pendant ihres Gatten zu denken ist. Die Büste des Echnaton wurde im selben Raum wie die der Königin gefunden, allerdings von Bilderstürmern zerschlagen.
Büste des Echnaton, Ägypten, Tell el-Amarna, Neues Reich, 18. Dynastie, um 1351–1334 v. Chr., Inv.-Nr. ÄM 21360, Schenkung von James Simon © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß
Ursprünglich war die Büste des Echnaton wohl noch aufwendiger gearbeitet als die der Nofretete, da neben der Bemalung auch Blattgoldauflagen nachweisbar sind und der eingesetzte Kopf der Uräus-Schlange aus kostbarem Material gefertigt war. Beide Büsten waren sicherlich nicht für einen Grabkontext gedacht, sondern dienten wahrscheinlich der Verehrung des Herrscherpaares im Tempel oder Palast.
Ludwig Borchardts Interpretation der Büste der Königin als „Bildhauermodell“ dominiert seit der Publikation von 1923 die ägyptologische Sichtweise und ist nur selten hinterfragt worden. Borchardt schreibt hierzu:
Über den Zweck der Büste ist kaum etwas zu sagen nötig. […]. Ihr Zuschnitt zeigt, dass sie nicht als einzeln gefertigter Teil einer ganzen Statue gedacht war, die linke Augenhöhle, für die der Einsatz, da er nach dem rechten Auge gegengleich herzustellen war, der überflüssigen Arbeit wegen nie hergestellt zu werden brauchte, ist leer gelassen, kurz alles zeigt deutlich, dass das Stück ein Modell ist.
Abgesehen von der Tatsache, dass sich Borchardt den Typus der Büste nicht als eigenständiges Kunstwerk vorzustellen vermochte, führte er als wichtiges Indiz für den Modellcharakter die unbemalten Schulterseitenteile an. Ob allerdings sein letztes Argument – das fehlende Auge – als stichhaltiger Beweis für diese These herhalten kann, bleibt offen. Die neuesten Untersuchungen lassen keine eindeutige Entscheidung zu.
Da der Typus der Büste als eigenständiges Kunstwerk im Alten Ägypten belegt ist, kann allein diese Darstellungsweise nicht als Argument für den Modellcharakter der Nofretete-Büste herangezogen werden. Hinzu kommt der Vergleich mit den anderen Gipsmodellen, die neben den Bildnissen der Nofretete und des Echnaton in der Doppel-Kammer R. 18/19 gefunden wurden. Diese 23 Modelle, davon neun königliche, sind bis auf wenige Konturlinien in schwarzer und roter Farbe unbemalt geblieben und eindeutig als Modelle zu charakterisieren. Die beiden königlichen Büsten dagegen scheinen nahezu vollständig fertiggestellt worden zu sein.
Hinzu kommt, dass ein perfekter Farbauftrag wie bei der Nofretete-Büste für einen Meister der damaligen Zeit bei einem Modell nicht notwendig gewesen sein dürfte. Die Farbgebung für Kronen, Halskragen und Teint waren normiert und festgelegt und bedurften keinerlei Vorlagen. Insofern halten sich beide Interpretationsmöglichkeiten die Waage, und das Rätsel, ob sich bei der Büste der Nofretete um ein Modell oder um ein (nahezu) vollendetes Kunstwerk handelt, bleibt weiterhin ungelöst.
Büste der Nofretete, Ägypten, Tell el-Amarna, Neues Reich, 18. Dynastie, um 1351–1334 v. Chr., Schenkung von James Simon © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß