Die Nofretete-Büste wurde am 6. Dezember 1912 bei einer Grabung im mitteläygptischen Tell el Amarna gefunden. Leiter der Grabungskampagne war der Ägyptologe und Bauforscher Ludwig Borchardt (1863–1938). Bei der anschließenden Fundteilung wurde die Büste der deutschen Seite zugesprochen.
Tell el-Amarna ist die arabische Bezeichnung für die Gegend um die altägyptische Stadt Achet-Aton, übersetzt: „Horizont des Aton“, die um 1350 v. Chr. neu gegründete Hauptstadt des Königs Echnaton. Sowohl dieser Ort als auch die Zeit des Pharao Echnaton (1351 – 1334 v. Chr.) standen um 1900 im Fokus der internationalen ägyptologischen Forschung. Insbesondere die erste monotheistische Religionsstiftung durch Echnaton beschäftige die Wissenschaften. Auch der außergewöhnliche Kunststil seiner Epoche erregte größtes Interesse, zumal damals viele Objekte aus Amarna auf dem Kunstmarkt angeboten wurden und bereits einige Objekte für das Berliner Museum angekauft worden waren. Daher strebte auch die deutsche Ägyptologie danach, in Tell el-Amarna eigene Grabungen vornehmen zu können.
Film „Echnatons Traum von einer neuen Hauptstadt" © Sammler und Jäger Filmproduktion GmbH, 2012
Nach einer erfolgreichen Sondierungskampagne im Jahr 1907 beantragte Ludwig Borchardt zunächst bei der Deutschen Orient-Gesellschaft längerfristige Grabungen in Tell el-Amarna. Diese war 1898 zur Förderung der Altertumskunde im Nahen und Mittleren Osten gegründet worden. Alleiniger Financier des Vorhabens war der Berliner Unternehmer und Mäzen James Simon. Die erbetene Grabungslizenz wurde, wie damals üblich, von der ägyptischen Altertümerverwaltung erteilt. Um der Gefahr zunehmender Plünderungen und der unerlaubten Ausfuhr von Kulturgütern entgegenzuwirken, zeigte diese Behörde größtes Interesse daran, Grabungen an erfahrene Ausgräber zu vergeben.
Im Winter 1911/1912 begannen Borchardt und sein Team mit den Grabungen in Tell el-Amarna. Dabei konzentrierten sie ihr Interesse auf das Stadtgebiet und legten bis zum Beginn der zweiten Kampagne bereits einige Wohnhäuser und Villen frei. Zuvor war das gesamte antike Stadtgebiet vermessen worden und hatte eine Einteilung in Quadratnetze erhalten, die bis heute von der Wissenschaft genutzt wird.
Aus der Benennung der Planquadrate ergaben sich folgerichtig auch die Nummerierungen der ausgegrabenen Häuser, was dazu führte, dass dem Werkstattkomplex mit dem berühmten Depotfund zahlreicher Gipsmodelle sowie den beiden königlichen Büsten die Bezeichnung „P 47.2“ zugesprochen wurde. Auf Basis einer Inschrift wurde der Komplex später dem Bildhauer Thutmosis zugeordnet.
Wie bei Flächengrabungen in Siedlungen bis heute üblich, wurde auch damals das Ausgrabungsgeschehen an mehreren Stellen gleichzeitig von einer Vielzahl von Arbeitern unter der Aufsicht der beteiligten Wissenschaftler durchgeführt. Verlauf und Ergebnisse wurden sowohl im Feld mit Skizzen als auch am Abend im Grabungstagebuch festgehalten.
Schon am Vortag des berühmten Fundes ging das Grabungsteam davon aus, im Komplex des Areals P 47.2 eine Bildhauerwerkstätte gefunden zu haben. Da sich für den 6. Dezember 1912 hochrangige adlige Gäste aus Sachsen angekündigt hatten, überließ Borchardt nach dem Mittagessen die Grabungsaufsicht seinem Kollegen, dem Ägyptologen Hermann Ranke, und brach zum Nilufer auf, um die Gäste dort abzuholen.
Borchardt beschreibt dies im Grabungstagebuch wie folgt:
1/2 1h werden Posten ausgesandt, die uns von der Ankunft der „Indiana“ der Hambg.-Amerikalinie, auf der Prinz Joh.-Georg von Sachsen mit Frau und Schwägerin sowie Prinzessin Mathilde v. Sachsen ankommen werden, benachrichtigen sollen. [….] Borchardt tost los, ihnen entgegen. Am Schiff erfährt er, dass die Herrschaften schon landeinwärts gegangen sind. Er tost zurück. Im Wadi erhält er von Ranke einen Zettel, der ihm anzeigt, 'dass etwas Gutes herauskommt‘. Im selben Moment kommt auch die prinzliche Gesellschaft. Gang zur Grabung in Haus P.27.2 …
Es folgen kurze Beschreibungen der Einzelfunde, inklusive der bekannten Eintragung zur Büste der Nofretete („Beschreiben nützt nichts, ansehen“). Danach fährt Borchardt fort:
Während dieser Funde herrscht mehr Aufregung unter den Besuchern als vielleicht wünschenswert. 4h 15 ab zum Haus. Senussi meldet er habe noch 3 Gipsköpfe u. einen Granitfuß gefühlt. 4 Wächter an die Stelle gelegt. Thee auf der Veranda. Bei Sonnenuntergang gehen die Gäste zum Dampfer, der mittlerweile in die Nähe von Hagg Quandil gekommen ist. 7h 30 treten wir alle in Khaki zum Dinner an.
9h 30 zum Haus zurück.
Tagebuch. 12h 40 zu Bett nach diesem Duseltage.
Eintrag von Ludwig Borchardt im Grabungstagebuch 1912/1913 zum Fund der Nofretete, Seite 43, Archival./Akte/67/43 © Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung
Abgesehen von diesen Eintragungen vom 6. Dezember 1912 existiert nur eine weitere Beschreibung Borchardts, die erst zehn Jahre später in seiner Erstpublikation des Fundes erschien. Dort schreibt er:
Dann wurde wenig vor der Ostwand – 0,20 m davon, 0,35 m von der Nordwand – etwa in Kniehöhe vor uns zuerst ein fleischfarbener Nacken mit aufgemalten roten Bändern bloss … über dem Nacken kam der untere Teil der Büste, unter ihm die Hinterseite der Königinnenperücke zum Vorschein. Bis das Stück ganz vom Schutte befreit war dauerte es allerdings noch einige Zeit, da zuerst ein nördlich dicht anliegender Porträtkopf des Königs vorsichtig geborgen werden musste. Dann wurde die bunte Büste erst herausgehoben und wir hatten das lebensvollste ägyptische Kunstwerk in den Händen.
Dokumentiert ist der Fundtag – neben Borchardts Aufzeichnungen – auch durch Fotografien des Prinzen Johann Georg von Sachsen, die der begeisterte Hobbyfotograf während seines Besuchs auf der Ausgrabung machte. Die Negative aus dem Nachlass des Prinzen befinden sich heute im Besitz des Universitätsarchivs Freiburg. Drei dieser Aufnahmen zeigen die gerade gefundene Büste der Nofretete im Arm des Vorarbeiters Mohammed es-Senussi.
Prinz Johann Georg von Sachsen, Präsentation der Nofretete-Büste am Fundort, 1912, v.l.n.r.: Grabungsaufseher Herrmann Ranke, Paul Hollander, Mohammed es-Senussi © Staatliche Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum
Die ersten Objektfotografien der nun sorgfältig gereinigten Büste wurden am 23. Dezember 1912 von dem Fotografen Paul Hollander im Grabungshaus aufgenommen. Die sieben Glasplatten-Aufnahmen sind, gemessen an den Umständen, unter denen sie entstanden, von sehr guter Qualität und lagen in 18 x 24 cm großen Papierabzügen auch bei der Fundteilung am 20. Januar 1913 vor.
Gegen Ende der Grabungskampagne erfolgte – wie bei allen ausländischen Grabungsmissionen üblich – die obligatorische Fundteilung nach den gültigen Statuten der Altertümerverwaltung. Die Teilung der Funde wurde durch den Ägyptologen und zuständigen Grabungskommissar Gustave Lefèbvre durchgeführt. Sie erfolgte in 14 gleichen Teilen – „à moitié exacte“ –, so dass jeder Seite sieben Fundgruppen von ähnlicher Bedeutung zugesprochen wurden.
Das Dokument des sogenannten „Procés-Verbal du partage“ wurde am 20. Januar 1913 von Gustave Lefebvre handschriftlich abgefasst und von Ludwig Borchardt gegengezeichnet. Borchardt beschreibt im Grabungstagebuch, dass am Vormittag der Fundteilung sowohl die Fotos aller Funde vorgelegt wurden, als auch eine genaue Inspektion der Funde erfolgte.
Mr. Lefebvre kommt gegen 10h zur Teilung. Er begrüßt uns damit, dass er von unseren schönen Funden schon durch Herrn v. Bissing wisse, der es ihm geschrieben habe. […] Nachdem Lefebvre zuerst gestärkt worden ist, werden ihm die Photographien aller Funde vorgelegt, dann sieht er im Fundbüro, wo ihm auch die Fundjournale zur Verfügung gestellt werden, die Funde an. Besonders genau besichtigt er die Stücke aus hartem Gestein: Stele (S. 199), die bunte Königin, die Prinzessinnen, -Königin u. Königsstatuen u. Köpfe u.s.w. Auch werden Stichproben von den kleineren Funden angesehen.
Für die ägyptische Seite platzierte man ein heute als „Klappaltar von Kairo“ bekanntes Altarbild an die erste Position, dem auf der deutschen Seite als ebenbürtiges Objekt die Büste der Nofretete gesetzt wurde.
Mit der offiziellen Fundteilung endete die Grabungskampagne von 1912/1913, der dann eine weitere, letzte Kampagne kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges folgte. Alle der Berliner Seite zugesprochenen Funde gingen vertraglich geregelt in das Eigentum von James Simon über, der sämtliche Amarna-Funde – auch die Büste der Nofretete – dem Berliner Museum im Jahr 1920 in einer unvergleichlich großzügigen Geste vermachte.
Film „Der Fundort der Nofretete" © Sammler und Jäger Filmproduktion GmbH, 2012