Die Provenienzforschung stellt sich die Frage, wie Gegenstände gesammelt, erworben und mitunter angeeignet wurden und auf welchen oft verschlungenen Pfaden sie ins Museum gelangten. Sie beschäftigt sich mit den Kontexten von Besitz- und Eigentumswechseln von der Entstehung eines Objekts bis hin zu seiner Aufnahme in die Sammlungen. Die Arbeit der Provenienzforscher*innen bringt die vergessenen Geschichten hinter den Objekten ans Tageslicht, die fast immer spannend, manchmal auch skurril oder gewaltvoll sind.
Provenienzforschung erfüllt dabei eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe: Mit der 1998 erarbeiteten Washingtoner Erklärung verpflichtete sich auch die Bundesrepublik Deutschland, nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in den Museen zu suchen und gemeinsam mit den rechtmäßigen Eigentümer*innen gerechte und faire Lösungen zu finden. Sie setzte ein Zeichen dafür, sich der Verantwortung aus geschehenem Unrecht zu stellen. Seit einigen Jahren beginnt auch das Bewusstsein für die Folgen der deutschen Kolonialherrschaft zu wachsen. Der Aufarbeitung von Sammlungen aus kolonialen Kontexten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
Doch sind Provenienzforscher*innen nicht allein auf Problembestände, Illegalität und Rückgabe fokussiert, sondern leisten einen wichtigen Beitrag zur eigenen Sammlungsgeschichte, zur Geschichte des Kunst- und Antiquitätenhandels, zu kulturellen und personellen Verflechtungen, die in der Vergangenheit wurzeln, aber nicht selten bis in die Gegenwart reichen. Provenienzforschung widmet sich auch dem heutigen Umgang mit historischen Sammlungen und bildet dabei eine wichtige Grundlage in der Zusammenarbeit mit Kooperations-Partner*innen aus aller Welt, um mögliche Zukunftsszenarien für die Objekte zu entwerfen.
Systematische Provenienzforschung ist in den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin eine wichtige Kernaufgabe, die das Zentralarchiv koordiniert. Es funktioniert als „Gedächtnis“ der Staatlichen Museen zu Berlin, als Ort ihrer historischen Überlieferung. Hier liegen die umfangreichen Archivalien, die den Ausgangspunkt jeder Provenienzrecherche in den eigenen Beständen bilden.
Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftler*innen widmet sich am Zentralarchiv den komplexen und vielschichtigen Aufgaben und Fragestellungen, die in den vielfältigen und sehr unterschiedlichen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin auftreten. Die Provenienzforscher*innen untersuchen, ob sich in den Sammlungen NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut befindet oder ob historische Erwerbungen im Kontext europäischer Kolonialherrschaft stehen. Darüber hinaus werden Erwerbungen nach 1970 auf Verstöße gegen die UNESCO-Konvention gegen illegalen Handel mit Kulturgut untersucht, um die rechtmäßige Ausfuhr aus den Herkunftsländern gewährleistet zu wissen. Auch in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR wurden Kulturgüter ihren Eigentümer*innen entschädigungslos entzogen, etwa im Kontext der Bodenreform oder im Zuge politischer Verfolgung. Nicht zuletzt gehören die Erforschung von Fremdbesitz und der Umstände der eigenen Kriegsverluste der Museen zu den Aufgaben der Provenienzforschung. Diese Beispiele zeigen die ganze Vielfalt dieser noch jungen Disziplin.
Daneben unterstützen die Archivar*innen des Zentralarchivs die Provenienzforschung durch eine zielgerichtete Tiefenerschließung von ausgewählten Aktenbeständen, z. B. von Erwerbungsakten. Damit wird der Zugang zu den betreffenden Archivalien erleichtert und der zeitliche Aufwand der Recherchen sowohl für die eigene sammlungsbezogene Provenienzforschung an den Staatlichen Museen zu Berlin als auch für externe Forscher erheblich reduziert.
Dr. Nicola Crüsemann hat Vorderasiatische Archäologie und Germanistik in Frankfurt/Main und Berlin studiert. Seit ihrer Dissertation zur Geschichte des Vorderasiatischen Museums befasst sie sich intensiv mit der Entstehung archäologischer Sammlungen sowie den Hintergründen der frühen deutschen Grabungen im Osmanischen Reich. Neben der Provenienzforschung liegt ihr Interesse in der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte an unterschiedliche Zielgruppen. So war Frau Crüsemann in verschiedenen Museen in Speyer, Mannheim und Berlin im Bereich Bildung und Vermittlung sowie als Kuratorin kulturhistorischer Sonderausstellungen, darunter „URUK. 5000 Jahre Megacity“, tätig. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Rahmen des DZK-Projekts „Legal-Illegal?“ tätig, wo sie die verschiedenen Wege der archäologischen Funde aus Zincirli/Sendschirli und aus den frühen Ausgrabungen in Didyma nach Berlin erforscht.
Dr. Lisa Hackmann studierte Kunstgeschichte und Neuere deutsche Philologie in Leipzig, Berlin und Paris. Von 2010 bis 2015 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im deutsch-französischen Forschungsprojekt „ArtTransForm“ an der TU Berlin unter der Leitung von Bénédicte Savoy zur Mobilität junger Maler*innen zwischen Frankreich und Deutschland im 19. Jahrhundert. 2018 war sie für das Projekt zum Kunstfund Gurlitt des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste tätig, von 2020 bis 2022 war sie als Mitarbeiterin des DZK u. a. mit jüdischen Kunstsammlungen und ihren Schicksalen während der NS-Zeit befasst. Aktuell erforscht sie die Provenienzen von Werken aus der Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch.
Dr. Sven Haase, Historiker. Nach einem Volontariat bei der Arbeitsstelle für Provenienzforschung und in der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin ist er seit 2014 für die Provenienzforschung im Bereich Europäische Kunst zuständig und war von 2016 bis 2021 Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises Provenienzforschung. 2018 kuratierte er die Ausstellung „Biografien der Bilder. Provenienzen im Museum Berggruen Picasso – Klee – Braque – Matisse“ und arbeite an der Ausstellung „Max Beckmann. Das Vermächtnis Barbara Göpel“ des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin mit.
Dr. Christine Howald (Stellvert. Direktorin des Zentralarchivs), Historikerin, hat viele Jahre in Berlin, Paris und Peking zu Sammlungsgeschichte in verschiedenen Kontexten geforscht und anschließend an der Technischen Universität Berlin den Forschungsschwerpunkt TEAA-Tracing East Asian Art aufgebaut. Sie betreut nun die Provenienzforschung zu den Beständen aus Ost-, Südost- und Südasien am Museum für Asiatische Kunst sowie dem Ethnologischen Museum und damit zusammenhängende Kooperationsprojekte.
Ilja Labischinski hat Altamerikanistik, Anthropologie und Geschichte der Amerikas in Bonn, Berlin und Madrid studiert und war als Koordinierender Kurator für das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst im Humboldt Forum tätig. In diesem Rahmen kuratierte er ein kollaboratives Ausstellungsprojekt zu Francis La Flesche und erarbeitete die wissenschaftliche Grundlage für die Rückgabe von Objekten an die Chugach nach Alaska. Einen ersten Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Aufarbeitung der Aneignungskontexte menschlicher Überreste in den Sammlungen des Ethnologischen Museums.
Franziska May studierte Kunstgeschichte und Geschichte in Berlin und Madrid. Von September 2020 bis Dezember 2021 war sie wissenschaftliche Museumsassistentin in Fortbildung an der Gemäldegalerie, von Januar bis September 2022 im Zentralarchiv für den Bereich Provenienzforschung Europäische Kunst. Sie arbeitete unter anderem an den Ausstellungen „Die Sammlung Solly 1821-2021. Vom Bilder-„Chaos“ zur Gemäldegalerie“ und „Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“ mit und war Co-Kuratorin der Ausstellung „In:complete. Zerstört – Zerteilt – Ergänzt“ an der Kunstbibliothek. Seit September 2022 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin für Provenienzforschung an der Gemäldegalerie.
Kerstin Pannhorst studierte historische Anthropologie, Biologie, Linguistik und chinesische Sprache in Freiburg, Montreal und Taipeh. Im Neanderthal Museum bei Düsseldorf arbeitete sie in der Ausstellungsabteilung, am Museum für Naturkunde Berlin gab sie im Rahmen eines Forschungsprojekts das Buch „Wissensdinge“ mit verschiedenen Perspektiven auf Museumsobjekte mit heraus. Für ihre wissenschaftshistorische Dissertation zum Thema "Insekten als globale Ware: Taiwan als Sammelort im frühen 20. Jahrhundert" an der Humboldt-Universität und am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte forschte sie in Taiwan und Japan. Sie ist Koordinatorin des Provenienzforschungsprojekts „Spuren des 'Boxerkrieges' in deutschen Museumssammlungen“.
Julia Richard studierte Ethnologie, Heritage und Memory Studies in Heidelberg, Granada und Amsterdam. Sie forschte in Ethnologischen Museen in Deutschland und den Niederlanden mit Interesse an affektiven Praktiken und Erinnerung – insbesondere in Bezug auf die Karibik. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit den kolonialen Vermächtnissen, und möglichen dekolonialen Lesarten, des Botanischen Gartens in Berlin. Seit Februar 2023 ist Julia Richard als Wissenschaftliche Museumsassistenz i.F. in der postkolonialen Provenienzforschung am Zentralarchiv tätig.
Birgit Sporleder hat Klassische Archäologie, Kulturwissenschaft und Kunstgeschichte in Berlin und Havanna studiert. Ausgehend von ihrer Masterarbeit über den Antikenhandel des frühen 20. Jahrhunderts kuratierte sie die Ausstellung „Gefunden, gehandelt, gestundet“ in den Sammlungen des Winckelmann-Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin. Ab 2018 war sie als wissenschaftliche Museumsassistentin i.F. am Ethnologischen Museum Berlin tätig. Hier, wie auch aktuell als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Provenienzforschung, widmete sie sich den archäologischen Sammlungen aus Zentralamerika.
Dr. Hanna Strzoda, Kunsthistorikerin, ist seit 2010 in Provenienzforschungsprojekten für die Staatlichen Museen zu Berlin tätig. Zunächst untersuchte sie in einer Kooperation der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit dem Land Berlin die Bestände der West-Berliner „Galerie des 20. Jahrhunderts“. Anschließend widmete sie sich bis 2016 der „Sammlung der Zeichnungen“ am Kupferstichkabinett und erforscht aktuell die ehemaligen Kunstbestände der „Dresdner Bank“, die 1935 vom Preußischen Staat erworben und an die Staatlichen Museen zu Berlin überwiesen wurden. Sie ist für den Bereich Kunstsammlungen zuständig, insbesondere für die „large scale collections“ (Kupferstichkabinett, Kunstgewerbemuseum, Kunstbibliothek).
Ohiniko M. Toffa (Dr.phil) studierte Germanistik / Kulturwissenschaft an der Universität Lomé, wo er seine Magister- und DEA-Arbeiten auf dem Gebiet der deutschen Missions- und Kolonialgeschichte schrieb. Er befasste sich mit dem Missionar und Koloniallinguist der Norddeutschen Mission Diedrich Westermann (1875–1956). Anschließend promovierte er dank eines DAAD-Stipendiums an der Universität Bremen über den Missionsinspektor Franz Michael Zahn (1833–1900). Von 1. April 2021 bis 31. März 2023 war er als Provenienzforscher / Wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt zu den kolonialen Sammlungen aus Togo (1884–1939) bei den ethnologischen Museen in Leipzig und Dresden. Seit dem 1. Januar 2024 ist er als Provenienzforscher (Dahlem) / Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralarchiv (SPK). Seine Expertisen liegen zudem im Postkolonialismus.
Schwerpunkte: Deutsche Kolonialgeschichte in Togo / Westafrika, Wissens- und Wissenschaftsgeschichte, Postkoloniale Theorie (u. a. Dekolonisierung des Wissens) etc.
Kristin Weber-Sinn, Studium der Afrikawissenschaften (Schwerpunkt Geschichte) und Ethnologie in Köln und Berlin. Zusammen mit vier Historikerinnen hat sie den online verfügbaren Audioguide „Kolonialismus im Kasten?“ (2013) als kritische Intervention in der Dauerausstellung des DHM konzipiert. Sie forscht seit 2016 am Ethnologischen Museum zu den sensiblen Sammlungen aus dem heutigen Tansania und führt diese Arbeit in Kooperationsprojekten mit tansanischen Kolleg*Innen des National Museum of Tanzania, der University of Dar es Salaam und der Humboldt-Universität zu Berlin (Forschung und Ausstellung) fort.
Dr. Petra Winter (Direktorin des Zentralarchivs) studierte Geschichte, Polonistik und Archivwissenschaft in Berlin, Krakau und Potsdam. 2008 wurde sie in Neuerer/Neuester Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert mit einer Studie zu den „Zwillingsmuseen im geteilten Berlin 1945-1958“. Von 2000 bis 2008 arbeitete sie als Archivarin im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin. Ab 2008 war sie als Provenienzforscherin der Staatlichen Museen zu Berlin tätig und übernahm gleichzeitig die stellvertretende Leitung des Zentralarchivs. Seit 2015 ist sie Leiterin (seit 2020 Direktorin) des Zentralarchivs und Leiterin der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört neben der Provenienzforschung vor allem die Museumsgeschichte des 19./20. Jahrhunderts.
Bei Fragen kontaktieren Sie uns unter: provenienzforschung[at]smb.spk-berlin.de
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