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Publikation zur Provenienzforschung an Schädeln aus Deutsch-Ostafrika: „Human Remains from the Former German Colony of East Africa“

18.01.2023
Museum für Vor- und Frühgeschichte

Nach dem Abschluss der Provenienzforschung zu Schädeln aus Deutsch-Ostafrika ist nun eine umfangreiche Publikation zum Pilotprojekt erschienen: „Human Remains from the Former German Colony of East Africa“, herausgegeben von Dr. Bernhard Heeb, verantwortlicher Kustos am Museum für Vor- und Frühgeschichte für die Aufarbeitung der anthropologischen Sammlung, und Professor Charles Mulinda Kabwete, Historiker an der University of Rwanda. Die SPK signalisiert Bereitschaft zur sofortigen Rückgabe und wartet dazu auf Signale aus den Herkunftsländern.

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin hat in einem 2017 gestarteten Projekt gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Ruanda die Provenienz von rund 1.100 Schädeln aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika untersucht. Die Ergebnisse dieses von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Pilotprojektes liegen nun als Publikation vor. Sie bietet die Grundlage für eine verantwortungsvolle Rückführung der menschlichen Überreste in die Herkunftsländer.

Für die SPK ist das klare Ziel der Provenienzforschung zu den human remains, diese an die betroffenen Länder zu restituieren. Mit ihnen haben wir die Ergebnisse der Forschungen vor gut 2 Jahren geteilt und mit Zustimmung des Stiftungsrates die Restitution angeboten. Wir sind zur sofortigen Rückgabe bereit und warten jetzt auf Signale aus den Herkunftsländern. Mit der jetzt vorliegenden Publikation sind die Ergebnisse der Forschungsarbeit aber auch für die breite Öffentlichkeit nachlesbar. Ich danke der Gerda-Henkel-Stiftung für die so wichtige Förderung des Projekts, das uns in die Lage versetzt, begangenes Unrecht wiedergutzumachen.

SPK-Präsident Hermann Parzinger

Ein großer Erfolg dieses Projekts ist, dass von der Regierung Ruandas benannte Wissenschaftler und Museumsexperten über die gesamte Laufzeit mit dem deutschen Team zusammengearbeitet haben und dass die nun veröffentlichten Forschungsergebnisse bereits gemeinsame Positionen zu einer Rückführung der Gebeine enthalten,

ergänzt Michael Hanssler, Vorsitzender des Vorstands der Gerda Henkel Stiftung.

Untersuchungen und Ergebnisse

Von den 1.135 untersuchten Schädeln konnten 904 Schädel Gebieten im heutigen Ruanda, 202 Tansania und 22 Kenia zugeordnet werden. Bei 7 gelang keine genauere Zuordnung. Die große Mehrheit der Schädel stammt von Bestattungsplätzen, vor allem Gräberfeldern oder Grabhöhlen, teilweise auch von einheimischen Hinrichtungsplätzen. In sehr vereinzelten Fällen sind auch Hinrichtungen durch Deutsche nachweisbar (Aufständische und Plantagenarbeiter).

Die untersuchten menschlichen Überreste gehören zu der anthropologischen Sammlung von rund 7.700 Schädeln, die die SPK 2011 in äußerst schlechtem Zustand von der Charité übernommen hatte. Sie waren vom Museum für Vor- und Frühgeschichte vor Beginn der Provenienzforschung zunächst aufwändig gereinigt und konservatorisch gesichert worden. Viele von Ihnen stammt aus der so genannten "S-Sammlung", die Felix von Luschan um die Jahrhundertwende aus nahezu allen Teilen der Erde zusammengetragen hat. Andere Überreste stammen aus der Schädelsammlung des ehemaligen anatomischen Instituts der Charité, sowie aus weiteren kleineren Sammlungen. Nach dem Ersten Weltkrieg ließ das wissenschaftliche Interesse an den anthropologischen Sammlungen deutlich nach und sie gerieten allmählich in Vergessenheit.

Aufgrund des Umfangs der Sammlung und Vielfalt der geographischen Herkunft, war es nicht möglich, das gesamte Konvolut auf einmal zu untersuchen. Die menschlichen Überreste aus Ostafrika, das sich zur Zeit der Aneignung zu wesentlichen Teilen unter deutscher Kolonialherrschaft befand, wurden daher als erster Teilbestand in dem modellhaften Projekt untersucht. Um die genaue Herkunft der Schädel, zu denen kaum schriftliche Unterlagen erhalten waren, zu klären, waren intensive Archivarbeit, Feldforschung vor Ort durch ruandische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und anthropologische Analysen nötig. Die Einbindung von Vertretern der Herkunftsländer war ein zentraler Aspekt bei der Forschung. Auch die Publikation ist in ruandisch-deutscher Ko-Autorenschaft entstanden.

Über die Publikation

Human Remains from the Former German Colony of East Africa
Recontextualization and Approaches for Restitution

Bernhard S. Heeb (Hg.), Charles Mulinda Kabwete (Hg.), Staatliche Museen zu Berlin
Sprache: Englisch, 472 Seiten, 13 s/w Abb. und 2 farb. Karten, gebunden
Böhlau Verlag Köln, 1. Auflage,
2022, 69,00 €, ISBN: 978-3-412-52344-2

Das erste Kapitel des Bandes gibt einen Überblick über die Geschichte der anthropologischen Sammlungen, die sich heute im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte befinden. In den Kapiteln zwei bis fünf geht es um die Rekonstruktion des kolonialen Kontextes, die öffentliche Debatte über menschliche Überreste in Deutschland und um koloniale Netzwerke. Das sechste Kapitel dokumentiert die Herkunft der menschlichen Überreste aus Ruanda. In diesem Zusammenhang werden auch die aufgezeichneten Erinnerungen der ruandischen Ältesten an die deutsche Kolonialherrschaft und die kolonialen Arbeitserfahrungen der Ruander vorgestellt. Das siebte Kapitel ergänzt die vorangegangenen Kapitel durch die Ergebnisse der Auswertung historischen Dokumenten und zeitgenössischen Quellen, während sich das achte Kapitel mit den Fragen der Restitution, Wiedergutmachung und Erinnerungskultur beschäftigt. In den beiden letzten Kapiteln werden die Ergebnisse der Provenienzforschung an den menschlichen Überresten aus Tansania und Kenia vorgestellt.

Folgeprojekte

In Ruanda erarbeiten die an dem Projekt beteiligten Wissenschaftler derzeit in einem von der Gerda Henkel Stiftung geförderten Folgeprojekt die Rahmenbedingungen für eine Rückführung und setzen sich dabei auch mit bisher erfolgten Restitutionen menschlicher Gebeine an andere Länder auseinander.

Auf den während der Arbeit mit der Ostafrika-Sammlung gewonnenen Erfahrungen baut zudem ein von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördertes Folgeprojekt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zur Erforschung der Provenienz von menschlichen Schädeln aus Westafrika auf.