Die Erwerbungsbücher der Staatlichen Museen zu Berlin bilden bis heute den Bestandsnachweis der Museumssammlungen und spiegeln die wechselvolle Geschichte des Sammlungsaufbaus und der Provenienz der Bestände. Seit dem 17. Jahrhundert wird in den handschriftlich verfassten Bänden über die Zugangskonditionen, den Vorbesitz und die Fundumstände sowie über spätere Verluste oder Verlagerungen des Sammlungsbestands berichtet.
In der Regel sind die Verzeichnisse tabellarisch knapp strukturiert. Das Ordnungsprinzip der zeilenweisen Einträge ist eine laufende Nummer in chronologischer oder nach Jahrgängen gereihter Folge. Der Umfang und die Informationstiefe einzelner Einträge variieren nach den historischen Sammlungsbereichen und den Berichtszeiträumen. Während in dem einen Fall kaum mehr als ein Zugangsdatum und eine Inventarnummer mitgeteilt werden, sind es in dem anderen Fall erschöpfende Notizen zum Zustand der Objekte, zu Provenienz und Vorbesitz sowie zum Erwerbungsverlauf.
Unterschiedliche Handschriften in den Verzeichnissen, zumal in deutscher Kurrentschrift, stellen eine hohe Lese- und Verständnishürde dar. Verkürzte, oft nur der historischen Verwaltung geläufige Verweisformen erschweren darüber hinaus die Lesbarkeit. Nicht selten mündet das Notieren von Verlagerungen, Abgaben und Auslagerungen, von Kriegsverlusten und Rückerwerbungen in labyrinthische Verzeichnisstrukturen, in denen sich der rote Faden einzelner Objektbiografien nur mit guten Kenntnissen des historischen Museumswesens verfolgen lässt.
Für die Provenienzforschung, die Funddokumentation und die Bestandserschließung stellen die Erwerbungsbücher dennoch eine wichtige, wenn nicht die zentrale Primärquelle dar. Die digitale Verfügbarmachung erleichtert die gemeinsame Auswertung der Informationen aus den verschiedenen transdisziplinären Perspektiven, und sie unterstützt vor allem die aktive Beteiligung des oft lokalen Wissens an der Klärung historischer Erwerbungsverläufe. Mit der Online-Publikation öffnet sich ein Fenster in die Museen hinein, das den Wissenszugang der Bürgergesellschaft erweitert und im Sinne der Citizen Science neue Fragen zu einem umfassenderen Verständnis der Zugangsstrategien und der Erwerbungspolitik der Sammlungen aufwerfen kann.
Die öffentliche Verfügbarmachung der Erwerbungsbücher im Rahmen einer fortlaufenden Online-Publikation leistet einen konkreten Beitrag zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes nach dem Washingtoner Abkommen. Zugleich unterstützt diese den Auftrag zur Aufarbeitung der kolonialen Kontexte, die sich heute oft nur schwer rekonstruierbar hinter und zwischen den scheinbar nüchternen Zugangsdaten der Erwerbungsbücher entfalten. Der Anspruch auf Kooperation und fairen Dialog zwischen den Sammlungen und den Herkunftsgesellschaften wird durch die Öffnung der Archive und den transparenten Umgang mit den Quellen gestützt werden.
Das Angebot zum Download nahezu unkommentierter Scans der Erwerbungsbücher im PDF-Format versteht sich als „Advance Publishing“. Es ist ein erster Schritt, der das Anliegen wissenschaftlicher Communities an einer möglichst schnellen und umfassenden Bereitstellung der Dokumente respektiert. Um die Lesbarkeit und die Auswertung der darin enthaltenen Informationen gegenüber der Öffentlichkeit zu erleichtern und die Quellen insbesondere gegenüber der nicht deutschsprachigen Öffentlichkeit zu öffnen, sind weitere Bearbeitungsschritte notwendig. Dazu zählen der teilautomatisierte Aufbau von Registern sowie eine Schnittstelle zum Online-Katalog der digitalen Bestandsverzeichnisse der Staatlichen Museen zu Berlin. Die Transkription der handschriftlichen Einträge über eine automatisierte Texterkennung (OCR) und die Übersetzung in weitere Sprachen könnten die Zugänglichkeit verbessern, liegen jedoch nicht im Rahmen der aktuell verfügbaren technischen Ressourcen.
Das Projekt „Provenienz und Bestand. Online Publikation der Erwerbungsbücher der Staatlichen Museen zu Berlin“ stellt den historischen Gesamtbestand von mehr als 1.000 Bänden bereit. Einschränkungen erfährt die Publikation nur durch die Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Ansprüche Dritter, mit denen im Falle des Ankaufs oder der Schenkung eines Sammlungsobjekts im Einzelfall zu rechnen ist. Textschwärzungen schieben sich aus diesem Grund vor die Publikation personenbezogener Daten aus Zugangszeiträumen nach dem Jahr 1950.
Die Staatlichen Museen zu Berlin stehen für Nachfragen zur Verfügung und werden, soweit eine unmittelbare Auskunft nicht möglich ist, Anregungen geben, welche weiteren Einsichtnahmen angeboten werden können.
Die Erwerbungsbücher werden kontinuierlich auch über Sammlungen Online, das Online-Portal der Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, zugänglich gemacht.
Das Projekt wurde initiiert und gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Projektförderung: Bundesministerium für die Kultur und die Medien (BKM)
Projektleitung: Prof. Dr. Andreas Bienert und Florentine Dietrich, M.A.
Wissenschaftliches Team: Valentina Salcedo Paparoni, M.A. (Projektkoordinatorin), Tatjana Antipanova, Maximilian Kostka, Sarah Mewes, Franziska Steffen
Museumsdokumentationssystem: Michael Noack, Helen Reich
Sammlungsverwaltung: Anja Bodschwinna (Antikensammlung), Kirstin Csutor (Museum Europäischer Kulturen), Beate Ebelt-Borchert (Zentralarchiv), Christine Exler (Gemäldegalerie), Michel Hansow (Kupferstichkabinett), Melanie Herrschaft (Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst), Christian Jäger (Kupferstichkabinett), Manuela Krüger (Kunstgewerbemuseum), Frank Marohn (Ägyptisches Museum und Papyrussammlung), Hendryk Ortlieb (Ethnologisches Museum), Dr. Uta Schröder (Museum für Asiatische Kunst), Marie-Theres Steinke (Gemäldegalerie)
Scanning/Fotografie: Kulturgutscanner - MIK-CENTER GmbH Berlin, Harald Rudolph (Kupferstichkabinett)
Kontakt: generaldirektion[at]smb.spk-berlin.de
Laufzeit: November 2019 bis Oktober 2022